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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana
Autoren: Agatha Christie
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College-Gebäude – du kannst es von hier aus sehen.«
    Miss Marple schaute hinaus und sah große rote Backsteingebäude hinter einer Reihe schützender Bäume hervorschimmern. Dann fiel ihr Blick auf etwas Näheres, und sie lächelte schwach.
    »Was für ein schönes Mädchen Gina doch ist«, sagte sie.
    Carrie Louises Miene hellte sich auf. »Ja, nicht wahr?«, sagte sie leise. »Es ist eine solche Freude, sie wieder hier zu haben. Ich habe sie bei Kriegsbeginn nach Amerika geschickt, zu Ruth. Hat Ruth eigentlich irgendwann einmal von ihr gesprochen?«
    »Nein. Sie hat sie nur kurz erwähnt.«
    Carrie Louise seufzte. »Die arme Ruth! Sie war außer sich über Ginas Heirat. Aber ich habe ihr immer wieder gesagt, dass ich ihr nicht den geringsten Vorwurf mache. Ruth will im Gegensatz zu mir nicht einsehen, dass es die alten Grenzen und Klassenschranken nicht mehr gibt – oder jedenfalls nicht mehr lange geben wird.
    Gina absolvierte ihren Kriegseinsatz, und dabei hat sie diesen jungen Mann kennen gelernt. Er war Marineinfanterist, mehrfach ausgezeichnet. Eine Woche später waren sie verheiratet. Es ging natürlich alles viel zu schnell, sie konnten gar nicht feststellen, ob sie wirklich zueinander passten – aber so ist das heutzutage. Junge Leute gehören ihrer Generation an. Wir können vieles von dem, was sie tun, für unklug halten, doch wir müssen ihre Entscheidungen akzeptieren. Aber Ruth war wirklich außer sich.«
    »Hat sie den jungen Mann für unpassend gehalten?«
    »Sie sagte ständig, sie wüsste rein gar nichts über ihn. Er stammte aus dem Mittleren Westen und hatte überhaupt kein Geld – und natürlich keinen Beruf. Solche jungen Männer gibt es überall zu Hunderten. Er entsprach einfach nicht Ruths Vorstellung davon, was für eine Art Mann für Gina richtig wäre. Aber es war nun mal passiert. Ich war so froh, als Gina meine Einladung annahm, zusammen mit ihrem Mann hierher zu kommen. Hier tut sich so viel – es gibt Arbeit jeder Art, und wenn Walter Mediziner werden oder etwas anderes studieren möchte, kann er es tun. Schließlich ist das hier Ginas Heimat. Es ist wunderbar, sie wieder bei uns zu haben, einen so warmherzigen, fröhlichen, lebendigen Menschen.«
    Miss Marple nickte und schaute wieder zu den beiden jungen Leuten am See hinaus. »Außerdem sind sie ein ausnehmend schönes Paar«, sagte sie. »Ich kann verstehen, dass Gina sich in ihn verliebt hat!«
    »Ah, nein, das dort ist gar nicht Wally!« Ganz plötzlich hatte sich eine Andeutung von Verlegenheit oder Zurückhaltung in Mrs Serrocolds Stimme eingeschlichen. »Das ist Steve, der jüngere von Johnnie Restaricks zwei Söhnen. Als Johnnie – als er weggegangen ist, wusste er nicht, wo er die Jungen in den Ferien hinschicken sollte, und so kamen sie immer zu mir. Sie sahen das hier als ihr Zuhause an. Und Steve wohnt jetzt ständig hier. Er leitet unsere dramatische Abteilung. Wir haben ein Theater, weißt du, wir führen Stücke auf – wir fördern alle künstlerischen Begabungen. Lewis meint, Jugendkriminalität sei zum großen Teil auf Exhibitionismus zurückzuführen, die meisten Jungen hätten ein durch und durch enttäuschendes, unglückliches Familienleben hinter sich und fühlten sich als Helden, wenn sie Raubüberfälle und Einbrüche begehen. Wir ermuntern sie, eigene Stücke zu schreiben und aufzuführen und auch die Bühnenbilder selbst zu entwerfen und zu malen. Steve ist für das Theater zuständig. Er ist mit Feuereifer dabei. Nicht zu glauben, wie er dieses Projekt mit Leben erfüllt hat.«
    »Aha«, sagte Miss Marple gedehnt.
    In die Ferne sah sie recht gut (wie viele ihrer Nachbarn in St. Mary Mead zu ihrem Leidwesen erfahren hatten), und sie sah ganz deutlich das dunkle, schöne Gesicht von Stephen Restarick, der Gina gegenüberstand und sich angeregt mit ihr unterhielt. Ginas Gesicht konnte sie nicht sehen, weil das Mädchen ihnen den Rücken zuwandte, aber der Ausdruck auf Stephens Gesicht sprach Bände.
    »Es geht mich ja nichts an«, sagte Miss Marple, »aber dir ist doch wohl klar, Carrie Louise, dass er in sie verliebt ist?«
    »O nein –« Carrie Louise wirkte beunruhigt. »O nein, nur das nicht.«
    »Du hattest schon immer den Kopf in den Wolken, Carrie Louise. Es besteht nicht der geringste Zweifel.«

Viertes Kapitel

I
     
    B evor Mrs Serrocold etwas erwidern konnte, kam ihr Mann mit ein paar geöffneten Briefen in der Hand aus der Halle in die Bibliothek.
    Lewis Serrocold war sehr klein, keine
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