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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum
Autoren: P Lively
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sich aufpassen.«
    »Zweifelsohne. Ich wollte nur den verantwortungsbewussten Vater hervorkehren. Da hast du’s übrigens, Gina – ein kurzer familiärer Abriss. Die Familie setzt sich über den ganzen Erdball ab, wie du merkst.«
    »Wir haben immer noch Paul«, sagte Ingrid.
    »Und sind so dankbar dafür.« Alison umarmte Gina und drückte ihre Wangen kurz an Philips Wangen. »Ich wünschte, ihr hättet ihn länger gesehen, aber das Gartencenter ruft natürlich. Gute Fahrt. Und kommt bald wieder.«
    Diesmal fuhr Philip. Als er das Tor passierte, sah er im Rückspiegel die Gruppe auf der Treppe: Alison und Ingrid winkten, Charles stand einfach da, mit dem hechelnden Hund zu seinen Füßen. Philip fand, sie sähen aus wie in einer anderen Zeit erstarrt, vielleicht gegen 1975, und sagte das auch, ohne damit eine Kritik zu beabsichtigen.
    »Wahrscheinlich siebenundsiebzig«, sagte Gina. »Im Sommer, als ich meinen achten Geburtstag hatte.«
    Aber erstarrt sind sie nicht, dachte sie. Sie sah ihre junge Mutter, ihren jungen Vater. Sie sah alle in anderen Inkarnationen – Paul, Sandra, Katie … alle. Tante Corinna – auch sie war damals da. Nein, sie waren nicht erstarrt, sondern weitergezogen, davongezogen. Trotzdem ist alles auch immer noch da und besteht so fort, wie es damals war. An jenem Tag. An anderen Tagen.

Ginas Geburtstagsparty
    Corinna sitzt auf der Terrasse und blickt in den Garten hinunter. Sie hat sich verspätet, die Party ist schon voll im Gang. Dafür kassiert sie zweifellos einen Strafpunkt, der das Goldsternchen für die gute Tat, überhaupt hier zu sein, womöglich wieder auslöscht. Corinna ist Ginas Patentante, wenn auch nicht Taufpatin – der Haushalt ist atheistisch –, und da besteht bei Geburtstagen Anwesenheitspflicht. »Gina wäre ja so gekränkt, wenn du nicht kämst« – im Klartext, Alison wäre gekränkt.
    Überall Kinder. Der Garten ein einziges Gewusel. Ein einziges Protzen mit Alisons Fruchtbarkeit. Natürlich sind nicht alle Kinder ihre eigenen, es sind auch Besuchskinder darunter, Ginas Gäste. Hier gilt die Familienregel, erinnert sich Corinna, dass nur das Geburtstagskind Gäste einladen darf, und auch nur eine Handvoll, weil die Familie selbst schon so groß ist. Also hat Gina das bewilligte Grüppchen Freundinnen hier.
    Alison schwimmt im Glück, wie Corinna sieht. Die Erdmutter. In Laura Ashley gekleidet – »wallend« träfe es vielleicht besser: ein halber Hektar Blümchenstoff, bodenlang, die nicht vorhandene Figur gnädig verhüllend. Ist sie vielleicht schon wieder …? Gott bewahre! Produktiv war sie allerdings, die Erdmutter, der Küchentisch zeugt von ihrem Kreißen. Platte um Platte Häppchenschnickschnack mit ausländischen Flaggen, Minibrötchen, Würstchen im Schlafrock, winzige glasierte Kuchen in gerüschten Papierförmchen, Brandy Snaps, Schokoladenplätzchen, dazu krügeweise Apfelsaft und Limonade. Und in der Mitte DIE TORTE : fast einen halben Meter im Durchmesser, selbst gemacht bis zur letzten aufgespritzten Rosette und dem akkuraten Schönschriftzug: Happy Birthday, Gina. Auch wenn die acht Kerzen wohl von Woolworth stammen, denkt Corinna. Ja, die Erdmutter hat sich ins Zeug gelegt.
    Warum bringt mich Alison so in Rage? Weil sie sechs Kinder hat und ich keins? Aber wir haben 1977, und die Leistung einer Frau wird nicht am Ausstoß ihres Uterus gemessen. In meinen Kreisen, in denen Feminismus kein Fremdwort ist, wäre Alison ein Atavismus: Sie ist völlig abhängig von ihrem Mann, ihre Fähigkeiten und Talente beschränken sich auf das Wechseln von Windeln und das Backen von Geburtstagstorten, ich dagegen bin eine hoch angesehene Wissenschaftlerin und Dozentin. Ich weiß mehr über Christina Rossetti als jeder andere, außer einem Langweiler in Yale, der aber ziemlich alt aussehen wird, wenn mein Buch erscheint. In der modernen Welt bin ich die Erfolgsfrau, nicht Alison.
    Na schön, vielleicht spielen die Kinder eine Rolle. Irgendwie. Aber die Abneigung sitzt tiefer. Sie hat mit diesem unermüdlichen Lächeln zu tun, mit der Art, wie Alison einem den Arm tätschelt, mit ihrer wabernden Formlosigkeit und mit der Tatsache, dass sie in ihrem Leben kaum ein Buch gelesen hat, mit diesem leichten Stottern und mit ihrer majestätischen Selbstzufriedenheit.
    Was hat meinen Bruder nur dieser Frau in die Arme getrieben? Plötzlich war sie da und, schwupp, mit ihm verheiratet, und gleich kam ein Kind nach dem anderen. Was hat Charles davon? Tollen Sex? Bestimmt
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