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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum
Autoren: P Lively
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anzusetzen, überlegte es sich dann aber anders und stürzte sich auf sein Essen.
    Welche Narbengeschichte habe ich ihm erzählt?, fragte sich Gina. Unfall auf dem Schulhof oder Sturz vom Fahrrad? Sie verfügte über ein gewisses Repertoire, das sie inzwischen recht nachlässig einsetzte.
    »Du siehst immer wunderbar aus, Schatz«, sagte Alison. »Und hast immer frisch gewaschene Haare, sogar in Flüchtlingslagern oder so.«
    »Und du versprichst dich nicht. Sagst kaum einmal ›äh‹.« Ingrid erwärmte sich merklich für das Thema.
    Philip hielt mitten im Essen inne und legte klirrend Messer und Gabel nieder.
    »Ich tue mein Bestes«, sagte Gina frostig. »Kann ich noch Kaffee haben? Und wo ist Paul?«
    »Im Bett«, antwortete Charles, ohne von der Zeitung aufzublicken. »Wo sonst? Seit langen Jahren sein natürliches Biotop.«
    »Er findet den Job sehr anstrengend.« In Alisons Stimme klang ein leiser Vorwurf durch. »Er muss um halb neun dort sein, deshalb muss er am Sonntag mal ausschlafen.«
    »Manchmal kann er aus dem Gartencenter Sachen mitnehmen, die sie nicht mehr brauchen«, sagte Ingrid. »Letzte Woche kam er mit einer Kamelie und ein paar schönen großen Töpfen.«
    »Beschädigte Ware«, erklärte Alison. »Die Töpfe waren etwas angeschlagen, und die Kamelie hatte Frost abbekommen.«
    »Eine Hortikultur-Karriere ist ein unerwarteter Aufbruch in eine neue Richtung. Aber natürlich kann Paul schon auf so manchen Neubeginn zurückblicken.« Schwer zu sagen, ob Charles sarkastisch war oder nicht. »Ein größerer Aufbruch von zu Hause war allerdings nie vonnöten.«
    »Was macht er denn im Gartencenter?«, fragte Gina.
    »Er ist an der Kasse«, antwortete Ingrid. »Und fährt Pflanzen herum. Wahrscheinlich muss er heute Nachmittag hin.«
    »Und er etikettiert neue Ware«, ergänzte Alison. »Und hilft den Kunden finden, was sie suchen. Der Arme, er muss später wirklich arbeiten, Sonntag ist der größte Ansturm. Und was habt ihr beiden so vor? Natürlich gibt es einen Sonntagsbraten, aber wir essen eher spät, bis dahin könnt ihr faulenzen.«
    *
    »Ganz allein, Philip?«, fragt Alison. »Wo ist Gina denn abgeblieben?«
    »Sie holt eine Zeitung. Ein Sonntag ohne Zeitung ist für sie kein richtiger Sonntag.«
    »Und Charles hat die unsere wohl in sein Arbeitszimmer mitgenommen. Ich setz mich zu dir – das Essen gart jetzt von allein, und an einem sonnigen Vormittag ist es auf der Terrasse richtig schön.« Sie sackt auf einem Liegestuhl nach unten. »Ups! Ich vergesse immer, dass der kaputt ist. Paul ist vor Jahren mal draufgesprungen, der Lauser. Und siehst du die vielen Macken am Geländer? Da sind Katie und Roger immer mit dem Dreirad dagegengedonnert, als sie klein waren. Das ist ein richtiges Familienzuhause mit allen Narben, die dazugehören. Und so vielen glücklichen Momenten – an allem hängt eine Erinnerung. Die Silberbirke dort haben wir an Ginas erstem Geburtstag gepflanzt, schau mal, wie groß die jetzt ist. Bist du auch in einer großen Familie aufgewachsen, Philip? Ah ja … Also, ich wollte immer nur Kinder haben, und dagegen ist wohl nichts zu sagen, meine ich.« Fröhliches Lachen. »Eine richtige, altmodische Familie – für die Kinder ein wunderbares Fundament. Wie sie alle im Trupp zur Schule aufgebrochen sind, ich sehe sie noch vor mir. Und später hab ich sie durchgezählt, als sie wieder heimkamen, da hat ein leckeres Essen auf sie gewartet, und alle hatten ihren eigenen Platz am Tisch. Gina hat dir sicher schon viel erzählt. Was zählt, sind die ersten zehn Jahre, nicht wahr? Zehn, fünfzehn Jahre. Da werden die Weichen gestellt, nicht? Ich selbst hatte auch eine glückliche Kindheit und war immer dankbar dafür. Es kommt mir vor wie gestern – ihre Kindheit, meine ich, nicht die meine.« Wieder Lachen. »Ich kann’s immer noch nicht glauben, dass sie alle erwachsen sind und … nein, fort sind sie natürlich nicht, überhaupt nicht, nur eben ausgezogen. Für mich sind sie immer noch da, wie ein Schwarm lieber kleiner Poltergeister.« Alison seufzt. »So eine wunderbare Zeit, Philip, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Natürlich hatten wir auch viel Glück. Niemand … na ja, gelegentlich gab’s auch mal Ärger, aber das ist schließlich normal, oder? Nichts geht über ein richtiges, altmodisches Familienleben.«
    *
    »Ich mach dir Kaffee«, sagt Ingrid. »Für Gina auch? Nein, das ist keine Mühe. Setz dich doch bitte«, fügt sie liebenswürdig hinzu.
    Philip setzt
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