Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fall bloß nicht auf!

Fall bloß nicht auf!

Titel: Fall bloß nicht auf!
Autoren: Tim Bowler
Vom Netzwerk:
nicht.
    Noch immer stehen sie um mich herum und schauen.
    Â»Trix, bitte –«
    Â»Halt’s Maul.«
    Â»Trix!«
    Â»Maul halten habe ich gesagt.« Sie schaut mich verächtlich an, auch Vergnügen ist dabei, keine Frage. Ich ziehe die Knie an bis zum Kinn, zitternd und vor Kälte bibbernd und gegen die Tränen ankämpfend.
    Heul nicht, verdammt noch mal.
    Â»Ich kann dich gar nicht richtig sehen«, sagt sie leise.
    Ich erwidere nichts, traue mich nicht zu sprechen. Trixi wirft den anderen Mädchen einen Blick zu und nickt wortlos. Die anderen wenden sich wieder mir zu.
    Â»Nein!«, schreie ich.
    Wieder nehmen sie mich bei den Armen, verdrehen sie, strecken mich aus, drücken mich auf den Boden.
    Heul nicht, verdammt noch mal.
    Trixi schaut mich von oben bis unten an.
    Â»Ach du liebe Güte«, sagt sie. »Das ist aber eine Enttäuschung.«
    Heul nicht.
    Jetzt beschwöre ich mich selbst. Beschwöre mich, nicht zu heulen.
    Sie zückt ein Messer und lässt es aufschnappen.
    Â»Nein!«, schreie ich. »Tu’s nicht!«
    Sie lacht und mit ihr auch die anderen Mädchen. Sie beugt sich zu mir herab und spielt mit dem Messer.
    Â»Was soll ich nicht tun?«, erkundigt sie sich kalt.
    Jetzt kommen die Tränen. Sie kommen so heftig, dass Trixis Gesicht vor meinen Augen verschwimmt. Ich sehe nur noch den Schimmer der Klinge. Mein zerkratztes Gesicht schmerzt unter den salzigen Tränen.
    Â»Nein, bitte nicht«, flüstere ich.
    Ich heule jetzt wie ein Kind, das zu seiner Mama will. Irgendwie sehe ich auch klarer. Ich sehe, wie Trixi die Klinge an mein Gesicht führt, dann langsam den Körper hinunter, keinen Daumenbreit von der Haut entfernt.
    Wieder sehe ich vor Tränen nichts mehr, dann löst sich die Spannung in Armen und Beinen. Die Mädchen lachen, Stoff wird aufgerissen. Ich wische mir mit dem Handrücken die Augen aus und schaue hin.
    Das Messer versieht seinen Dienst, aber nicht an mir. Trixi trennt meine Kleider auf. Ich bleibe stumm, bewege mich nicht. Wozu auch. Die Mädchen tun, was sie wollen. Sie haben alle Messer und gehen damit auf meine Kleider los, Hose, Hemd, Jacke, alles, sogar die Unterhosen.
    Die Schuhe werfen sie in den Kanal, dann die zerfetzten Kleider hinterher. Trixi schaut mich lächelnd an.
    Â»Man sieht sich«, sagt sie.
    Und dann gehen sie.
    Ja, stimmt. Ich weiß, was du jetzt denkst. Du denkst, dass ich gelogen habe. Erstens als ich sagte, das Leben ist problemlos, und zweitens, als ich sagte, ich brauche niemanden.
    Aber ich habe ja schon zugegeben, dass ich lüge. Das kannst du nicht abstreiten. Also schau mich nicht so an.
    Scheiße, ich friere.
    Ich muss ein paar Klamotten finden und einen Platz zum Aufwärmen. Aber zuerst die Klamotten. Steh auf, Mann, komm schon. Verdammt, ich schwanke ja.
    Schau mich nicht so an, Bigeyes. Sieh zu, dass du ein paar von meinen Klamotten retten kannst. Nein, lass. Es hat keinen Zweck, die sind sowieso kaputt. Mach was anderes, keine Ahnung. Vielleicht findest du etwas, was ich als Ersatz benutzen kann. Eine Decke oder alte Zeitungen.
    Ich weiß, wir sind weit ab vom Schuss. Hier gibt es nicht viel, nur den Kanal, den Treidelpfad, Sträucher und den Zaun.
    Geh. Geh einfach los. Aber nicht zurück ins Stadtzentrum, geh ins Industriegebiet. Vielleicht hat dort jemand eine Jacke oder sonst etwas für dich übrig.
    Geh, geh.
    Mir tut alles weh. Diese Tussis wissen genau, wo es wehtut. Und ich heule wieder. Wenn ich doch damit aufhören könnte. Du dachtest, ich bin nur ein Rotzjunge mit einer großen Schnauze. Ja, stimmt, ich bin kackfrech, aber ich hab auch Gefühle.
    Was für Leute kommen da den Treidelpfad herauf?
    Joggerinnen in enger Sportkleidung. Drei insgesamt, unterhalten sich beim Laufen. Die kommen gerade richtig. So wie ich aussehe, werden sie wohl keine Angst vor mir haben. Ich rufe mal.
    Â»Hallo!«
    Sie haben mich gesehen.
    Â»Hallo!«
    Ich glaub es nicht. Die machen kehrt.
    Â»Hallo! Warten Sie doch!«
    Sie halten nicht an. Im Gegenteil, sie legen sogar einen Zahn zu.
    Â»Ich brauche Hilfe!«
    Schon sind sie weg. Sie haben sich nicht einmal umgedreht.
    Geh weiter. Mir ist kalt, kalt, kalt. Mein Gott, wie ich den November hasse. Grau, Nieselwetter, niederschmetternd. Und dunkel wird es auch schon wieder. Keine Menschenseele hier, seit die Frauen weggerannt sind.
    Warte, das stimmt nicht.
    Da auf dem Treidelpfad ist noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher