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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse
Autoren: Martin Clauß
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Spätschicht aufgespart. Fred Wandel erledigte solche Dinge mit großer Sorgfalt.
    Der Schädel des Namenlosen lag leicht schräg. Das Tränenbein – der Knochen hinter der Nase – zeichnete sich hell in der dunklen Augenhöhle ab, und gleich dahinter schien etwas zu sitzen, das Fred beobachtete. Er hatte diesen Eindruck heute nicht zum ersten Mal, daher erschreckte er ihn nicht.
    Behutsam legte er den Schädel so, dass der Tote an die Decke blickte. Er schob sich neben der Liege vorbei zurück in den Vorraum, schaltete den Röntgengenerator ein und intonierte eine weitere Strophe des Metallica-Songs, mit dem elektrischen Summen als Grundton. Die Akustik in dieser kleinen Kammer war phänomenal.
    Die meisten Zahnärzte hätten das Röntgengerät für Panoramaaufnahmen erst auf den zweiten Blick in dem Gewirr aus Gerätschaften entdeckt, denn während sie es nur in vertikaler Position kannten, hatte es sich hier „hingelegt“, um das Gebiss eines liegenden Körpers zu erfassen.
    Fred Wandel warf einen ersten Blick auf die Daten, die auf den diversen Displays im Röntgenzimmer und im Vorraum erschienen. Dann zog er das Aufnahmegerät am Schwenkarm herab und führte es vorsichtig über den Schädel. Es war etwas mühsam für den fülligen Mann, zwischen Wand und Liege in die Hocke zu gehen, aber er musste die Position des Geräts präzise justieren. Er kniff ein Auge zusammen und brachte sein Gesicht ganz nahe an den Schädelknochen. Diese Gebeine rochen voll und würzig. Irgendwie anders, als er es gewohnt war.
    Nach einer Minute war er mit der Position zufrieden und stellte sich wieder aufrecht. Seufzend musste er feststellen, dass der Röntgengenerator seine Betriebstemperatur noch nicht erreicht hatte. Das konnte noch einige Minuten dauern.
    Fred, der keine Lust hatte, in dieser engen Kammer zu warten, ging durch den Kühlraum hindurch zur Metalltür, öffnete sie und trat in den Flur. Er war plötzlich durstig geworden und verspürte Appetit auf seinen Lieblingskaffee.
    Hinter der nächsten Tür auf der rechten Seite verbarg sich ein Labor. Dort gab es ein kleines thermokonstantes Bad, das selten gebraucht wurde. Fred sorgte dafür, dass auch diese Investition von Steuergeldern einem sinnvollen Zweck zugeführt wurde. Wenn er seinen Dienst antrat, nahm er sechs Dosen Kaffee aus seiner Tasche, legte sie in das Wasserbad und stellte den Thermostat auf 60 Grad Celsius ein. Alle ein, zwei Stunden fischte er eine davon heraus und warf die wohltemperierten 250 ml-Dosen von einer Hand in die andere, bis das Weißblech genügend abgekühlt war, um es anzufassen.
    Es war wunderbar, mit einem heißen Kaffee in die Kühlkammer zurückzukehren. Der Mann öffnete den Verschluss mit einem Ruck und nahm einen ersten kleinen Schluck davon. Der Trick war es, die Lippen nicht mit der Dose in Berührung zu bringen und trotzdem zu trinken, ohne zu kleckern.
    Allerbester Laune kehrte er wieder in den Röntgenraum zurück. Das Gerät war jetzt betriebsbereit. Fred würde noch einmal kontrollieren, ob sich die Lage des Schädels nicht verändert hatte, dann würde er die bleierne Zwischentür schließen und von dem Vorraum aus die Aufnahme steuern.
    In dem kleinen Raum roch es jetzt herrlich nach schwarzem, aromatischem Bohnenkaffee. Ausgelassen summend und mit der geöffneten, dampfenden Dose in der Hand ging er ein weiteres Mal in die Knie, legte sein fleischiges Kinn auf die Kante der Bahre und prüfte die Position des Aufnahmegerätes. Perfekt. Er ...
    Das Skelett streckte sich.
    Fred schoss in die Höhe, blieb mit der Hüfte an der Liege hängen und hätte sie umgeworfen, wenn die Enge des Zimmers das nicht unmöglich gemacht hätte. Mit angehaltener Luft starrte er das Gerippe an.
    Natürlich bewegte es sich nicht. Und natürlich lag es nicht mehr an derselben Stelle, war etwas von ihm weg gerutscht, aber das war leicht zu erklären. Schließlich hatte sich der Mann selbst an der Liege gestoßen. Die Stelle an seiner linken Hüfte schmerzte.
    Was war das eben gewesen?
    Die Nerven?
    Bisher hatte er noch nie die Halluzination gehabt, seine Toten würden sich bewegen. Nicht einmal, wenn sie jung und unversehrt waren und aussahen, als würden sie nur schlafen.
    Also ... ein Erdbeben? Wenn es ein Erdbeben war, war er in dieser Bleikammer ziemlich sicher.
    Oder hatte er in seiner kauernden Haltung ganz einfach die Liege berührt, ohne sich dessen bewusst zu werden?
    Das musste es sein. Er würde das wieder in Ordnung bringen, das
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