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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse
Autoren: Martin Clauß
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über seine Schultern linsten oder ihn von einer Ecke in die andere kommandierten. Vor allem aber mochte er es, bei der Arbeit lauthals singen zu dürfen, ohne dumm angesehen zu werden.
    Fred Wandel arbeitete als Assistent in der Pathologie des Städtischen Klinikums Karlsruhe. „Nur Assistent, nicht Assistenz- Arzt “, pflegte er mit einem bedauernden Grinsen zu sagen, wenn jemand seine Qualifikation zu hoch einschätzte. Die meiste Zeit über kam er mit den Toten nicht einmal in Berührung, war mehr eine Art Mädchen für alles im schaurigsten Trakt des Krankenhauses. Er erledigte den Papierkram, gab Daten am Computer ein und räumte Dinge auf, die die Leute von der hektischen Tagschicht liegengelassen hatten.
    Ursprünglich hatte er den Beruf des Arzthelfers erlernt, doch seine Erfahrungen in Arztpraxen waren enttäuschend gewesen. Zum einen war der Beruf so sehr in weiblicher Hand, dass man einen männlichen Arzthelfer nirgendwo recht akzeptieren wollte, zum anderen eignete Wandel sich nicht für den Umgang mit lebenden Menschen. Er hatte sich daher auf dem Gebiet der Gerichtsmedizin weitergebildet und arbeitete nun schon seit sieben Jahren in dieser Position.
    Er gehörte nicht zu den Menschen, die diesen Teil des Klinikums gruselig fanden. Im Gegenteil: Der Gedanke, nur von Toten umgeben zu sein, beruhigte ihn immens. Die Vorstellung, mit kranken lebenden Menschen zu arbeiten, die jenen Augenblick – womöglich durch seine Schuld – sterben konnten, war ihm schlicht unerträglich.
    Manchmal, wie an diesem Abend, hatte er im Labor zu arbeiten oder einfache Untersuchungen an den Leichen vorzunehmen. Gutgelaunt stapfte er durch die Flure, unnötig laut, meist einen Heavy Metal-Song auf den Lippen.
    „Never cared for what they do-oo, never cared for what they kno-ow!“, sang Fred und klatschte im Takt gegen die weißen Wände. „But I know!“, grölte er mit verzerrtem Gesicht, trommelte ein Solo gegen die blaue Eisentür, stieß sie trotz ihres Gewichts mühelos auf und betrat den Kühlraum.
    Zwei Reihen von Neonlampen erwachten mit zögerndem Blinken zum Leben, und die Tür fiel hohl krachend hinter ihm zu. Wie ein Gespenst fuhr sein weißer Atem in die kalte Atmosphäre. Es war, als lege sich eine Eisschicht über sein Gesicht, so kalt war die Luft.
    Vor wenigen Tagen war ein Toter eingeliefert worden. Ein skelettierter Toter.
    Fred Wandel mochte Skelette. Sie waren schön, filigrane Skulpturen aus Kalk. Sie erinnerten an die Totendarstellungen, die in barocken Kirchen aus den Wänden und Säulen wuchsen. Selten hatte man in der Kunst oder Architektur die Toten als verwesende Leichen dargestellt. Skelette hatten ihre eigene, tadellose Ästhetik – sie waren sozusagen das zweite Gesicht des Menschen, nicht weniger schön als das erste, während der hässliche Verwesungsprozess nur einen Übergang darstellte. Übergänge waren immer abstoßend. Auch Geburten waren hässlich.
    Das Skelett hatte in einem kupfernen Kessel gekauert, als man es fand. Jetzt lag es ausgestreckt auf einer Bahre und wartete, was man mit ihm anstellen würde. „Keine Sorge, es wird nicht schlimmer sein als das, was du schon hinter dir hast“, bemerkte Fred leutselig und löste die Arretierung von den Rädern des fahrbaren Tisches. Dann schob er das Skelett auf eine Tür zu, auf der ein verschossener Aufkleber vor Röntgenstrahlung warnte. Es ging durch einen Vorraum in ein schmales Zimmer.
    Die Todesursache dieses Menschen war ungeklärt, und auch über seine Identität wusste man noch nichts Konkretes. Allein, dass es sich um einen männlichen Toten handelte, konnte man bereits sagen. Gestern hatte man die ersten DNA-Proben entnommen. Davon erhoffte man sich jedoch wenig. Damit DNA-Untersuchungen einen Erfolg zeitigten, musste es ein Gegenstück geben, mit dem man das Ergebnis vergleichen konnte – eine praktische Methode, wenn man etwa Speichel- oder Spermaspuren dem Erbmaterial eines in Untersuchungshaft sitzenden Tatverdächtigen gegenüberstellen konnte. Bei der Identifizierung von Verbrechensopfern hingegen erwies sich die modernste aller Analysemethoden oftmals als unergiebig. Nur in seltenen Fällen fand die Polizei DNA-Reste von Verschwundenen und katalogisierte diese.
    Viel mehr brachte es, das Gebiss des Toten zu röntgen und die Aufnahmen mit den Bildern von vermissten Personen zu vergleichen, die die Polizei von Zahnärzten erhielt. Da es tagsüber drunter und drüber gegangen war, hatte man diese Arbeit für die
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