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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X
Autoren: Martin Clauß
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verstanden hatte.
    Als er Veronikas Stimme von außerhalb des Hauses hörte, hatte sie nicht nur um Hilfe gerufen. Sie hatte auch geschrien: „Lasst mich zu ihm!“ Und dann: „Ich würde mich für ihn opfern!“
    Er hatte nicht weiter über diese Rufe nachgedacht, war mit anderen Überlegungen beschäftigt gewesen. Vielleicht hatte sie seine Erinnerung deshalb so akkurat abgespeichert. Als unerledigt quasi.
    Veronika wollte – zum wem? Zu X? Zu diesem Veit? Sie war bereit, sich zu opfern. Sie flehte nicht etwa darum, von dem Opfer verschont zu werden, nein, sie bat darum, sich opfern zu dürfen.
    Sir Darren wurde es heiß. Er hatte die ganze Zeit über einen Denkfehler gemacht. Jetzt spürte er, dass er nur noch einen winzigen Schritt von der Lösung des Mysteriums entfernt war. Er musste nur noch ein System in die Informationen bringen, die ihm vorlagen.
    Veronika war nicht deshalb gefesselt gewesen, weil die anderen sie opfern wollten. Im Gegenteil – die Menschen im Dorf versuchten sie lediglich zu schützen. Vermutlich hatten sie sich alle in einem der Häuser versammelt, um die Lage zu besprechen. Damit die junge Frau, die sich gebärdete wie eine Verrückte und daher nicht an der Zusammenkunft teilnehmen konnte, in der Zwischenzeit keine Dummheiten machte, legte man sie in Ketten und sperrte sie ein, ehe sie sich selbst in Gefahr brachte. Dieser Veit war entweder krank oder verschwunden, wahrscheinlich letzteres, sonst hätte man ihn Sir Darren vermutlich gezeigt.
    Man nahm anscheinend an, dass der Hunger ihn in seiner Gewalt hatte. Oder dass X, der vor dem Hunger stand, helfen konnte, Veit wiederzufinden. Veronika, die diesen Menschen offenbar über alles liebte, war bereit, sich für ihn zu opfern. Sie wollte es sogar so sehr, dass man sich nicht anders zu helfen wusste als sie in Ketten zu legen. Als der Fremde im Dorf auftauchte, fiel Veronika ein Stein vom Herzen. Nicht, weil er sie aus ihren Fesseln befreien würde, sondern weil man ihn an ihrer Stelle opfern würde. So konnte sie ihren Veit retten, ohne für ihn sterben zu müssen. Die Vorstellung eines Lebens an der Seite des geliebten Menschen musste für sie so verlockend gewesen sein, dass sie alle Skrupel vergaß und bereit war, den Fremden dafür zu töten. Wer einem Gott opferte, sah dies nicht als Mord an.
    Nach anfänglicher Verwirrung hatte sie entschieden, dass sie ihm ein Theater vorspielen musste, um ihn in die Falle zu locken. Das war ihr meisterlich geglückt.
    Sir Darren seufzte. Wie konnte er dieses Wissen jetzt noch einsetzen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen?
    Hatten seine Feinde aus der Geisterwelt ihre Hände im Spiel? Hatten sie ihn ins Dorf geführt, damit ihn eben dieses Schicksal ereilte? Er musste an den morschen Wegweiser denken, von dem er sich hatte leiten lassen. War er wirklich echt gewesen?
    Die Zeiger wirbelten, die Zeit raste. Es wurde dunkel, und er trank den letzten Schluck Wasser. Niemand sah nach ihm. Je mehr Zeit verging, desto leerer wurde sein Kopf.
    Es war Viertel nach zehn, als sie ihn abholten. Eine Prozession von fünf Männern schob ihn aus dem Zimmer. Der Priester war unter ihnen. Er nahm die Uhr vom Haken und hängte sie sich wieder um.
    Kaum hatten sie dem Gefangenen die Fußketten gelöst, da unternahm er einen sinnlosen Befreiungsversuch. Nur einen einzigen Tritt konnte er anbringen, dann war er überwältigt, und seine Füße steckten wieder in den Eisen.
    „Wir tun das nicht zu unserem Vergnügen“, bemerkte der Mann missmutig, der den Tritt gegen das Schienbein bekommen hatte. „Der Hunger ist nun mal der Fluch dieses Berges.“
    „Habt ihr schon einmal daran gedacht, von hier wegzuziehen?“ Die Erwiderung kam mit bitterem Spott in der Stimme. Es war schwierig, ihn die Treppe hinab zu bugsieren, ohne dass er stürzte. Er war wie ein sperriges Möbelstück, und er genoss grimmig ihre Anstrengungen. Die Männer schwitzten. Offenbar wollten sie nicht, dass sich das Opferlamm auf dem Weg zum Altar verletzte.
    „Dem Hunger kann man nicht entfliehen.“
    Es ging durch die dunkle Diele, zur Tür hinaus. Menschen hatten sich dort versammelt und beäugten ihn neugierig. Zwanzig, dreißig Leute, von denen einige Fackeln, andere Laternen trugen. Mehr Einwohner hatte dieser Flecken wohl nicht. Die Leute waren nicht in Feierstimmung. Was sie taten, schien sie zu belasten.
    Veronika war ebenfalls unter ihnen. Sie senkte den Kopf, als er so stolz und aufrecht wie möglich an ihr
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