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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X
Autoren: Martin Clauß
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fallen und trat kraftvoll mit dem Absatz darauf, dass die Glasscheibe zersprang.
    „Das hier ist eine Zeit“, sagte der Priester und legte die Hand behutsam auf die Uhr auf seiner Brust. Dann nickte er zu der Kirchturmuhr hinauf, die von hier aus zu sehen war. „Das dort ist eine andere. Wenn beide eins werden, ist es Zeit für das Opfer.“
    Sir Darren hielt die Luft an und begann unwillkürlich zu rechnen. In weniger als zehn Stunden würde es soweit sein.
    Zeit für das Opfer.
    „Lasst Veronika frei“, sagte er. Er sprach diese Worte nicht aus, weil er sich einbildete, dass sie etwas an der Situation änderten. Er hatte auch nicht vergessen, dass sie es gewesen war, die ihn in die Falle gelockt hatte. Er wollte einfach nur hören, was der Priester darauf antwortete.
    Und die Erwiderung überraschte ihn.
    „Deine Sorgen sind unbegründet. Veronika ist nicht mehr in Gefahr. Die einzige Gefahr für sie war sie selbst. Doch davor hast du sie mit deinem Kommen gerettet. Du wirst mit eigenen Augen sehen, wie wir ihr die Fesseln abnehmen. Sie sind ihr nur angelegt worden, um sie vor sich selbst zu schützen.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Ich nehme an, sie wird dir sehr dankbar sein.“

5
    Veronika war dankbar.
    Als man ihre Ketten löste, sprang sie auf Sir Darren zu, schlang ihre Arme um ihn und küsste ihn auf die Wange. „Danke“, hauchte sie ergriffen. „Auch im Namen von Veit, danke!“
    „Wer ist Veit?“, wollte er wissen. Er versuchte, die Frau abzuschütteln, doch zwei Männer hielten ihn fest.
    „Du wirst für ihn sterben“, entgegnete der Priester, als wäre dies eine Antwort. Veronika löste sich von ihm. „Leider wirst du ihm nicht mehr begegnen. Wir werden ihm aber deinen Namen übermitteln, damit er sich immer an dich erinnern kann. Wie heißt du?“
    „George“, antwortete Sir Darren spontan. „Ich komme aus Schottland.“ Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, feindlich gesinnten Leuten gegenüber niemals seinen echten Namen zu nennen. Falls Magie im Spiel war, gab man dem anderen zu viel Macht über sich, wenn man den eigenen Namen preisgab. Da er aber befürchten musste, dass sein leichter britischer Akzent aufgefallen war, wollte er sich nicht für einen Deutschen ausgeben. In Wirklichkeit stammte er aus England, aber für den Fall, dass er sterben würde, würde er dies lieber als Schotte tun …
    „Es ist besser, du setzt dich nicht zur Wehr, George“, sagte der Priester mit nervtötender Ruhe. Die anderen verloren keine Zeit und legten ihm zügig die Ketten an, die eben noch Veronika getragen hatte. Auch er wurde auf den Fußboden gezwungen und an den Schrank gekettet. Man war sogar so gütig, ihm frisches Wasser zu bringen. Veronika stellte es höchstpersönlich vor ihm ab und lächelte ihm aufmunternd zu.
    Dann nahm der Priester die Kette mit der Uhr ab und hängte sie an einen Nagel an die Wand, so, dass der Gefangene sie sehen, aber nicht erreichen konnte.
    „Betrachte dieses Symbol unseres Herrn“, verkündete der Priester feierlich. „Ehre es. Bete es an. Vielleicht erhört er dich und findet einen Weg. Einen Weg, Veit zurückzubringen, ohne dein Opfer zu verlangen. X ist groß. X ist gnädig. X steht vor dem Hunger und vermittelt zwischen uns und dem Hunger. X ist unsere Hoffnung und unser Trost. X stillt den Hunger an unserer statt.“
    Der Priester wandte sich mit diesen Worten ab. Er verließ als erstes das Zimmer. Die anderen, die ihn begleitet hatten, folgten ihm schweigend.
    Als Letzte blieb Veronika im Zimmer zurück. „Er hat recht“, sagte sie lächelnd. „X stillt den Hunger. Wir mussten schon lange keine Ziegen mehr opfern. Aber diesmal ist der Hunger zu groß, und selbst X kann nichts mehr tun. Es ist besser, nicht zu geizig mit Blut zu sein.“
    Sie ging hinaus. „Warte!“, rief Sir Darren. „Erzähl mir mehr! Ich verstehe noch nicht!“ Doch sie kehrte nicht mehr zurück, und einer der Männer, die draußen gewartet hatten, schloss die Tür hinter ihr ab.

6
    Die Uhr an der Wand tickte. Er hatte das Geräusch anfangs nicht wahrgenommen, aber je länger die Tür geschlossen war, desto deutlicher konnte er es hören. Der Nachmittag zog dahin – es wurde vier Uhr, dann fünf Uhr. Man überließ ihn sich selbst. Er bekam Hunger.
    Das Wasser schmeckte nicht. Er sehnte sich nach einem heißen Tee. Irgendwo da draußen an dem Hang unterhalb des Dorfes lag seine Tasche mit ein paar Äpfeln, einem Stück Brot und etwas Käse.
    Sein Rücken
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