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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X
Autoren: Martin Clauß
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schmerzte noch immer. Das Blut an seinen aufgeschürften Händen war eingetrocknet. Wenn er den Oberkörper aufrichtete, konnte er durch das einzige Fenster die Dächer von zwei benachbarten Häusern sehen, mehr nicht.
    Die ganze Zeit über hatte er nicht wahrhaben wollen, wie weit er tatsächlich von Falkengrund entfernt war. Nun hatte er die Empfindung, in einem Niemandsland zu schweben, ohne Ansprechpartner, ohne Ziel. Er hatte nicht einmal mehr einen Namen, eine Abstammung, einen Adelstitel. Er war ein Schotte namens George.
    Ein Opfer für einen gesichtslosen Gott namens X.
    X war kein Name. X war eine Unbekannte. Beliebig. Wie George.
    Konnte man etwas anbeten, was Beliebigkeit symbolisierte?
    Machte all das einen Sinn, oder waren die Leute in diesem Flecken einfach nur verrückt? Immer wieder griff er die wenigen Fäden auf, die er in der Hand hatte, und folgte ihnen, sah, ob sie zu Knoten führten oder sich im Nichts verliefen.
    Ein Wesen namens X – es steht vor dem Hunger und vermittelt. Vermittelt. Das X steht auch auf dem Altar, wo sonst der Gekreuzigte steht. Und, mit Kreide gemalt, auf dem Kirchenportal.
    Auch Jesus vermittelt. Jesus ist im christlichen Glauben Mittler zwischen Gott und den Menschen. Für die Menschen gestorben, woran das Instrument seiner Marter, das Kreuz, noch heute erinnert.
    Das X ist ein sogenanntes Andreaskreuz. Es gemahnt an die Kreuzigung des Apostels Andreas. Man findet es in der schottischen Flagge und damit auch im britischen Union Jack.
    In der Mathematik steht das X für das Unbekannte, in der Chemie für gefährliche Stoffe. Es vertritt im römischen Ziffernsystem die Zahl Zehn und ist der vierundzwanzigste Buchstabe im Alphabet. Vierundzwanzig. Der Tag hat vierundzwanzig Stunden. Die Uhr.
    „Dieses Symbol unseres Herrn.“
    Ist die Uhr lediglich eine andere Darstellungsweise des Buchstabens X? Vierundzwanzig.
    Aber warum 11.05 Uhr? Warum zeigen alle Uhren außer der des Priesters diese Uhrzeit?
    Sir Darren spielte mit den Zahlen, addierte und multiplizierte sie. Kein Ergebnis. Dann kam ihm ein neuer Gedanke.
    Noch ein Geheimnis verbirgt sich im X-förmigen Andreaskreuz: In der Bondage- und SM-Szene wird ein Gestell dieser Form standardmäßig benutzt, um den passiven, leidenden Teil daran zu fesseln.
    Eine andere Art der Kreuzigung – eine unangenehme Vorstellung für alle, die an solchen Dingen kein Vergnügen empfanden.
    Veronika war es ursprünglich gewesen, die geopfert werden sollte. Und nun wollte man ihm an ihrer Stelle die Ehre erweisen. Geschlecht und Alter des Opfers schien also keine Rolle zu spielen. Nur ein Mensch musste es sein. Das Mädchen hatte von den Ziegen gesprochen. Schon lange hatten sie keine mehr opfern müssen. Was bedeutete das? Wenn früher einmal Ziegen für das Opfer ausgereicht hatten, warum musste es dann jetzt ein Mensch sein?
    War etwas Besonderes eingetreten, das ein besonderes Opfer erforderte? Ein Name war gefallen. Veit. Du wirst für ihn sterben. War dieser Veit krank? Verschwunden? Tot?
    Oder hatte es etwas damit zu tun, dass hier zwei Götter eine Rolle spielten? X steht vor dem Hunger. Wer oder was war der Hunger? Opferte man X oder dem Hunger? Brachte man X ein Opfer, damit er den Hunger besänftigte? Oder opferte man dem Hunger, weil die Vermittlung von X versagt hatte?
    Sir Darren versuchte Parallelen zum christlichen Glauben zu ziehen. Das Alte Testament beschreibt einen Gott, dem noch Opfer gebracht werden – Rinder vor allem, Brandopfer. Im Neuen Testament taucht der Begriff Opfer fast nur im Zusammenhang mit Jesus auf. Sein gewaltiges Selbstopfer hat den Gott der Juden so sehr besänftigt, gesättigt , dass andere Opfer nicht mehr nötig sind.
    Brachte ihn dieser Gedanke weiter, oder führte er ihn nur in eine Sackgasse?
    Nervös beobachtete er, wie der Minutenzeiger wieder die Runde machte. Er schloss die Augen. Das Bild der Zeiger, wie sie 11.05 Uhr bildeten, entstand in seiner Phantasie.
    Die Zeiger waren lang, setzten sich auch nach hinten fort. Wenn der eine Zeiger auf elf Uhr zeigte und der andere auf fünf Minuten … dann bildeten sie zusammen ein X.
    Das war es also! Um 11.05 Uhr schufen die Zeiger einer Uhr ein klares, nahezu symmetrisches X. Das war das ganze Geheimnis! Diese Uhrzeit war ein Symbol des Gottes X, nicht mehr und nicht weniger.
    Sir Darren fiel eine Redewendung ein: Die Stunde X.
    Die Stunde X war 11.05 Uhr.
    Und dann erinnerte er sich an etwas, was er wahrgenommen, aber bis jetzt nicht
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