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Faktotum

Faktotum

Titel: Faktotum
Autoren: Charles Bukowski
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Müll erstickten. Wir waren aus unserem Apartment rausgeflogen. Ich hatte noch 2 Dollar und acht Cents. Jan hatte mir versprochen, sie würde zu mir zurückkommen, sobald es bei mir wieder aufwärts ging, aber das glaubte ich ihr nicht so recht. Der Häusermakler hieß Jim Bemis, hatte ein Büro in der Alvarado Street und jede Menge Moos. »Ich hasse es, wenn er mich fickt«, hatte Jan gesagt. Wahrscheinlich erzählte sie ihm jetzt das gleiche von mir.
    Mehrere Kisten voll Orangen und Tomaten standen herum; anscheinend konnte man sich da bedienen. Ich nahm mir eine Orange, biß in die Schale und lutschte den Saft heraus. Meine Arbeitslosenunterstützung nach dem Job im Hotel Sans war abgelaufen.
    Ein Kerl, etwa vierzig Jahre alt, kam zu mir her. Sein Haar sah aus, als sei es gefärbt; oder vielmehr, es sah eigentlich gar nicht wie Menschenhaar aus, sondern mehr wie Zwirn. Das grelle Licht von der Decke strahlte auf ihn herunter. Er hatte braune Leberflecke im Gesicht, vorwiegend um den Mund herum, und aus jedem wuchsen ein oder zwei schwarze Haare.
    »Wie läufts so?« fragte er.
»Okay.«
»Lust auf’n Blowjob?«
»Nee, nicht unbedingt.«
»Ich bin heiß, Mann, ich bin scharf. Ich brings wirklich gut.« »Hör zu, tut mir leid, aber ich bin nicht in Stimmung.«
    Er ließ mich stehen und ging verärgert weg. Ich sah mich in dem großen Warteraum um. Fünfzig Männer warteten auf Arbeit. Zehn oder zwölf Angestellte, die das Arbeitsamt in diese Außenstelle strafversetzt hatte, saßen hinter ihren Schreibtischen oder liefen herum. Sie rauchten Zigaretten und schienen sich mehr Sorgen zu machen als die Penner. Zwischen ihnen und dem niederen Volk gab es einen starken Maschendraht, der vom Boden bis zur Decke reichte. Jemand hatte ihn gelb angestrichen. Es war ein sehr abweisendes Gelb.
    Wenn ein Angestellter etwas mit einem von uns Strolchen zu erledigen hatte, hakte er sein kleines Schiebefenster aus und schob es auf. Sobald der Papierkram erledigt war, schob er es wieder zu und hakte es von innen ein. Jedesmal, wenn das geschah, sank unsere Hoffnung. Wenn das Fenster wieder aufging, waren wir sofort hellwach; jeder hoffte auf seine Chance. Dann ging das Fenster zu, und man sackte wieder ein bißchen mehr in sich zusammen.
    An der Rückwand, hinter dem gelben Maschendraht und hinter den Angestellten, hingen sechs schwarze Tafeln. Daneben lagen Kreide und Wischlappen, genau wie in der Volksschule. Fünf dieser Tafeln waren blankgewischt, man sah nur noch die geisterhaften Spuren früherer Job-Angebote – Jobs, die längst erledigt und für uns unwiderruflich verloren waren. Auf der sechsten Tafel stand etwas:
    TOMATENPFLÜCKER FÜR BAKERSFIELD GESUCHT
    Ich hatte immer geglaubt, Tomatenpflücker seien längst durch Maschinen ersetzt worden. Aber nein – da stand es, weiß auf schwarz. Offensichtlich waren menschliche Arbeitskräfte immer noch billiger als Maschinen. Und Maschinen konnten hin und wieder ausfallen. Ah.
    Ich sah mich im Warteraum um – es waren keine Orientalen da, keine Juden, fast keine Schwarzen. Die meisten von uns waren weiße Sozialfälle oder Chicanos. Die ein oder zwei Schwarzen hatten bereits Schlagseite von ihrem Wein.
    Jetzt stand einer der Angestellten auf. Er war ein großer bulliger Mensch mit einem Bierbauch. Besonders auffallend an ihm war sein gelbes Hemd; es hatte schwarze Längsstreifen und war steif von Kartoffelstärke; er trug Ärmelhalter, wie auf einem Foto aus der Zeit der Jahrhundertwende. Er kam nach vorn an den gelben Maschendraht und hakte das kleine Schiebefenster aus.
    »All right! Draußen steht jetzt der Lastwagen nach Bakersfield!«
Er schob das Fenster zu, hakte es ein, setzte sich an seinen Schreibtisch und steckte sich eine Zigarette an.
Einen Augenblick lang regte sich keiner. Dann standen die ersten von den Bänken auf, streckten sich, mit ausdruckslosen Gesichtern. Die Männer, die im Stehen gewartet hatten, warfen ihre Zigaretten auf den Boden und traten sie aus. Dann begann ein allgemeiner Exodus; langsam schoben wir uns hintereinander aus einer Seitentür hinaus auf den umzäunten Hof.
Die Sonne ging gerade auf. Wir sahen einander zum erstenmal richtig an. Da und dort grinste einer, wenn er ein bekanntes Gesicht entdeckte.
Wir schoben uns in einer langen Schlange auf die Ladefläche des Lastwagens zu, während die Sonne höher stieg. Es wurde Zeit, daß es losging. Der Lastwagen stammte aus Heeresbeständen und hatte schon den 2. Weltkrieg mitgemacht. Er hatte
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