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Fächertraum

Fächertraum

Titel: Fächertraum
Autoren: B Leix
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Alb. Langsam strömte das Flüsschen dahin. Eigentlich nicht tief, aber wenn man untertauchte und lange genug im kalten Wasser blieb – für die Frau im Persianer hatte es damals jedenfalls gereicht.
    Das alte Damenrad ächzte, so schnell und energisch trat Lindt in die Pedale. Langsam wurde ihm wieder warm.

2
    »Ein paar blaue Flecken vom Sturz, Chef. Der Notarzt hat es dann schließlich auch so gesehen, wollte sich halt absichern. Die Oma lag neben der Wanne auf den Fliesen. Ausgerutscht und mit dem Kopf auf die Kante – hundertprozentig! Pech, wenn der Sensenmann ausgerechnet im Bad kommt. Die Nachbarn haben sie gefunden. Bestimmt schon gestern Abend passiert. Mann, war die kalt!« Jan Sternberg erfuhr nie, warum ihn Oskar Lindt so merkwürdig ansah, nur ein gequältes ›Jetzt reichts mir wirklich‹ hervorwürgte und seinen Stuhl näher an die Heizung rückte.
    Paul Wellmann dagegen verstand. Auch er rollte seinen Bürosessel zur Wärme und setzte sich schweigend neben Lindt.
    Während ihr junger Kollege den Bericht ›Augartenstraße‹ in die PC -Tastatur hämmerte, saßen die beiden grauen Kommissare bewegungslos nebeneinander und starrten ins Leere.
    »Am Anfang die Witze, dann die Routine – und jetzt?« Wellmann zuckte die Schultern. Mit einer flapsigen Bemerkung hatte er sich vor 25 Jahren eine Diszi samt zweijähriger Beförderungssperre eingefangen.
    »Um den ist es wirklich nicht schade!« Dummerweise hatte der Zeitungsfotograf nicht nur sein Objektiv auf den von 13 Schüssen durchsiebten Amischlitten des Zuhälters gerichtet, sondern auch die Ohren gespitzt und den respektlosen Satz des langen jungen Oberkommissars gleich brühwarm in der Redaktionskonferenz zum Besten gegeben. Das Bild auf der ersten Seite des Lokalteils zeigte Wellmann zwar nur von hinten, aber der Polizeipräsident erkannte problemlos, wer da neben der durchlöcherten Fahrertür kniete und in fetten Überschriftslettern zitiert wurde.
    Lindt presste seine Hände auf die nur lauwarmen Heizkörperrippen. »Und jetzt?«, wiederholte er lakonisch. »Jetzt kommen sie bei Nacht, unsere Opfer von damals.« Er schauderte, obwohl es ihm normalerweise eher zu warm war.
     
    Jan Sternberg zog die Augenbrauen hoch, als Lindt mit gesenktem Kopf in seinem Büro verschwand. »Müssen wir uns Sorgen machen?«, drehte er sich zu Paul Wellmann um.
    Doch der schüttelte den Kopf. »Kein Grund, Jan. Ich wette, er stellt sich ans Fenster, unbeweglich, Hände in den Taschen, Pfeife im Mund, und schaut runter auf die Straße. Manchmal steht er eine halbe Stunde lang dort. So ist er halt, unser Oskar.«
    Doch Paul sollte sich täuschen. Kaum hatte er das ausgesprochen, kam Lindt wieder ins Zimmer. Er wirkte merkwürdig nervös. Unruhig, rastlos. Ohne etwas zu sagen, nahm er seine Jacke vom Haken und verschwand nach draußen.
    »Er geht zu Fuß«, sagte Sternberg, der ihm durchs Fenster nachschaute.
    Lindt ging an seinem Dienstwagen vorbei, machte einige Schritte später jedoch kehrt, angelte die Schlüssel aus der Hosentasche, öffnete den Kofferraum und nahm seinen großen schwarzen Stockschirm heraus.
    Er schickte einen skeptischen Blick zum Himmel, dann ging er weiter. Wohin? Das wusste er selbst nicht.
    Er litt unter der Unrast. Auch Carla hatte es schon bemerkt, doch wenn sie ihn darauf ansprach, wusste er nichts zu sagen. »Keine Ahnung …«
    Manchmal half es ihm, ziellos umherzuwandern oder sich irgendwo hinzusetzen und die Passanten zu beobachten. ›Leute schauen‹ war schon immer sein Hobby gewesen. Aber heute? Es kam ihm gar nicht in den Sinn. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern trottete er vorwärts. Er verlor jedes Gefühl für die Zeit.
    Irgendwann erreichte er die Fußgängerbrücke, die über die Kriegsstraße führt. Er stiefelte ein Stück hinauf, blieb stehen, lehnte sich ans Geländer, starrte zum eingezäunten Areal des Bundesgerichtshofes und stierte nach unten auf den vierspurigen Verkehr. Doch er schaute nicht wirklich hin. Es war ihm, als blickte er ins Leere – nirgendwohin.
    Er beachtete die Radfahrer nicht, die hinter seinem Rücken die Brücke passierten. Genauso wenig wie die Schulkinder, die lärmend Richtung Naturkundemuseum strömten. Selbst den Gruß zweier Streifenpolizisten nahm er kaum wahr und beantwortete ihn nur mit einem mechanischen Kopfnicken.
    Es begann zu nieseln. Nur leicht, zu wenig, um den Schirm aufzuspannen. Einmal tastete Lindt vorsichtig zur Gesäßtasche: Ja, er hatte es eingesteckt, das
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