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Fächertraum

Fächertraum

Titel: Fächertraum
Autoren: B Leix
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Heft mit seinen nächtlichen Notizen, mit den Gedächtnisprotokollen seiner Traumwelt.
    Warum machten ihm die Träume so zu schaffen? Hatte sich so viel angehäuft in seinem Unterbewusstsein, dass es auf diese Art nach außen drängte?
    ›Unkonventionell, aber souverän‹ – der Ausspruch des Staatsanwalts, als er vor Kurzem Lindts Arbeitsweise charakterisierte. Hatten diese Worte etwas in ihm ausgelöst? Begann er, über sich selbst nachzudenken?
    Er grübelte. Begann er wirklich, sein Verhalten zu reflektieren? Merkwürdig – er schüttelte den Kopf. Was soll das? Ich denke, ob ich denke? Nein, eher kam es ihm so vor, als ob irgendetwas in seinem Innern sich selbst infrage stellte. Ob ich mal mit Paul darüber …?
    Nee, schüttelte er wieder den Kopf. Er fühlte sich gar nicht in der Lage dazu, seine Gedanken mit einem anderen zu teilen.
    Das Nieseln wurde stärker, aber Lindt merkte es nicht.
    Hätte ihm ein Gespräch vielleicht doch geholfen? Hatte er in der Vergangenheit zu viel mit sich selbst ausgemacht?
    Der einsame Wolf? Nein, nein, das war er ganz bestimmt nicht. Er wusste sehr wohl, was er an seinem Team hatte und dass die Erfolge ohne Paul und Jan, ohne Ludwig Willms von der Kriminaltechnik und ohne den ›Kurzen‹, den Staatsanwalt Tilmann Conradi, niemals zustande gekommen wären.
    Aber diese Erfolge – waren sie es wirklich, auf die es ihm ankam? Komplizierte, langwierige Fälle waren seine Spezialität. ›Das schafft nur Lindt!‹ Diese Worte des Kriminaldirektors klangen ihm noch in den Ohren. Und er hatte es geschafft! »Nein, falsch«, stieß er plötzlich so laut hervor, dass eine Frau, die hinter ihm vorbeiging, fast den Griff ihres Einkaufswagens losgelassen hätte. Doch Lindt beachtete ihren konsternierten Blick nicht. Gemeinsam haben wir es geschafft. Nicht ich allein. Aber wem klopft man auf die Schulter? Dem, der an der Spitze steht.
    ›Wenn es einer schafft, dann ich.‹ – Ja es stimmte, so hatte er manchmal insgeheim gedacht. Die abstrusen Ideen, die völlig abwegigen Gedanken, die das Team schließlich zum Ziel brachten, die waren tatsächlich in seinem Kopf gereift. Die Technik des ›Querdenkens‹, des ›kreativen Andersmachens‹, das war immer die Spezialität des Oskar Lindt gewesen.
    Aber warum fühlte er sich dann so merkwürdig? Eine leichte Beklemmung stieg in ihm auf. War es Angst? Die Furcht davor, von seinem eigenen Gedankenstrudel nach unten gezogen zu werden?
    Wurde er etwa depressiv? Begann er, am Sinn seiner Arbeit zu zweifeln? Doch welche Arbeit sollte sinnvoll sein, wenn nicht seine?
    Dem Kampf gegen das Unrecht hatte er sich verschrieben. Sein ganzes Leben lang, mit vollem Einsatz, mit Leib und Seele. Nie hatte er daran gezweifelt. Und jetzt? Ein paar Jahre vor der Pensionierung solche Gedanken. War es ein ›Burn-out‹?
    Oder war es einfach zu viel? Zu viel, als dass man es einem Einzelnen zumuten, einem allein aufbürden konnte?
    ›Scheuen Sie sich nicht, auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen‹ – die Worte des Psychologen bei einer Fortbildung im letzten Winter. Damals hatte er diese Gedanken weit von sich gewiesen. Er hatte nie zugelassen, dass etwas von seinem Innersten nach außen drang. Selbst mit Carla konnte er darüber nicht sprechen.
    Hatte er die Erlebnisse in sich hinein…gestopft? …gefuttert? …gefressen?
    Sein langsam wachsender Umfang, war er ein Schutzpanzer gegen die Eindrücke von außen? Gegen das, was man ihm in diesem Beruf schon zugemutet hatte?
    Oder war er eher ein Gefängnis, das seine Gefühle in ihm einsperrte?
    Dass das Nieseln bereits zu einem richtigen Bindfadenregen geworden war, bemerkte er erst, als ein dicker Wassertropfen über seine Nase hinunterrann. Er betastete seinen Hinterkopf: Die Haare waren schon ganz durchnässt. Schnell spannte er den breiten schwarzen Schirm auf.
    Abgeschirmt! Schottete er sich in Wirklichkeit nach außen hin ab? ›Werde ich jetzt komisch?‹ Paul und Jan hatten in den letzten Wochen manchmal recht sonderbar geschaut. Seinetwegen? »Quatsch! Einbildung!«, sagte er laut zu sich selbst. »Aber wozu stehe ich dann die ganze Zeit auf dieser Brücke herum? Wenn das nicht merkwürdig ist …«
    Langsam hob er den Kopf. Töne, vertraute Töne. Die näher kommenden Sirenen zweier Streifenwagen holten ihn zurück in die Wirklichkeit. Zeitgleich vibrierte das Handy in seiner Hosentasche: »Oskar, wir müssen. Wo können wir dich abholen?«

3
    »Schrotschuss!«, würgte ein junger
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