Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fächergrün

Fächergrün

Titel: Fächergrün
Autoren: B Leix
Vom Netzwerk:
nötig gewesen. Was gab es zu überstreichen, zu verdecken oder zu vertuschen?
    Die KTU hatte in ihren Proben nur Farbe gefunden. Grüne Farbe.
    Bei dem gedämpften Licht in dem Raum kam es ihm vor, als wäre er unter Wasser. Ein Schwimmbad mit grünen Kacheln, ein Tauchgang in einem von Algen trüben See. Untergetaucht, weg von der Oberfläche, weg von der Welt. Eingetaucht in eine andere Sphäre.
    Lindt setzte sich auf die hohe Stufe im Fußboden und begann, sich zu entspannen. Er atmete langsamer, drängte seine Gedanken zurück, konzentrierte sich auf das gleichmäßige Ein- und Ausatmen, spürte bewusst jeden Atemzug und spürte … die Kälte.
    Das Grün kam ihm aufs Mal ganz eisig vor. Hatte das Meer unter der arktischen Polkappe eine solche Farbe?
    Die Kälte kroch ihm zuerst vom Beton des Fußbodens her durch die Hose, unmittelbar darauf kam sie von allen Seiten. Eiseskälte, Todeskälte … Er konnte sich nicht rühren, fühlte seinen Hosenboden festgefroren auf dem grünen Beton, keine Kraft, sich dagegen zu wehren.
    Hatten diese Wände schon Grausames gesehen?
    Ein eiskalter Hauch schien sich durch den Raum zu schieben. Unsichtbar, aber fühlbar. Eine Wolke, die sich ausbreitete, ein Reif, der sich auf seine Schultern legte, ihn umklammerte, auf ihm lastete, ihn niederdrückte, ihn auf den Boden presste.
    Mit den Händen stützte er sich ab, wollte dagegenhalten, versuchte, sich hochzuschieben, vergebens. Er resignierte. Seine Schultern sanken noch tiefer, er fühlte sich immer kleiner. Zusammengedrückt zu einem erbärmlichen Häufchen, das auf der kalten Betonkante im eisgrünen Keller auf seine Erlösung wartete.
    Erlösung von einem unlösbaren Fall. Einem Fall, der ihm aufgebürdet worden war und der ihn jetzt übermannte. Die Last auf seinen Schultern, die ihn niederpresste. Keine Aussicht auf eine Lösung, keine Hoffnung auf ein Ende.
    Der Kommissar vergaß die Zeit völlig. Langsam wurde er eins mit dem kalten Grün, wurde Teil des Betons, wurde selbst zur Kälte. Sein Kinn drückte bereits auf die Brust. Sein Atem wurde langsamer und flacher.
    Wie auf einer Leinwand zogen die blamablen Ereignisse vor seinen geschlossenen Augen vorbei. Die Bäckersfrau, der Pressefotograf, der Sack mit den Knochen, die Fragen der Journalisten …
    Plötzlich durchzuckte es ihn. Ein feuriger Blitz! Eine heiße Welle breitete sich in ihm aus. Begann im Bauch, wogte in der Brust, dem Kopf, den Armen. Nach unten in das Becken, die Oberschenkel, zog hinunter bis in die Zehen.
    Hitze und Kälte stritten sich in Oskar Lindt. Abwechselnd wurde ihm heiß und kalt, nein, immer mehr heiß.
    Die Frage des BILD-Reporters hatte das Feuer entzündet: ›Lag die Person einfach so im Keller rum … oder war sie … eingemauert?‹
    Was wäre, wenn?
    Er sprang auf. Worauf hatte er gesessen? Ein Schütteln erfasste seinen ganzen Körper. Konnte das sein? Hier unten?
    Lindt stürzte zum Ausgang, hastete die Treppe hoch, rannte in den Schuppen, suchte eine Werkzeugkiste, riss den Deckel nach oben, griff Meißel und Fäustel, eilte wieder in den Keller und legte los.
    An der Kante fing er an, hämmerte, meißelte, spitzte den Beton ab. Schluckte Staub, wischte ihn aus dem Gesicht, verfehlte mit dem Fäustel knapp seine Hand … und schaffte nur eine winzige Ecke des hochgelegten Fußbodens. Nach zehn Minuten musste er erschöpft innehalten. Sein helles Hemd und die leichte Sommerhose waren bereits ziemlich grau. Der Betonstaub saß in seinen Haaren, er spürte ihn im Mund, hatte dadurch verstopfte Nasenlöcher, außerdem hingen überall Betonkrümel, in seinen Haaren, in seiner Kleidung, sogar in seinen Ohren.
    So ging das nicht. So konnte er niemals vorwärtskommen.
    Lindts Erfahrungen als Heimwerker waren recht gering. Wenn es etwas zu richten gab, wurden bisher stets Handwerker beauftragt. Manchmal hatte er zugesehen. Er versuchte, sich mit seinem Taschentuch das Gesicht zu säubern und dachte an die Aktion vor dem Einzug in die derzeitige Wohnung. Der Durchbruch, um aus Wohn- und Esszimmer einen einzigen großen Raum zu machen. Die Baufirma hatte damals diese Wand mühelos wegbekommen. Er dachte an den muskulösen, braun gebrannten Bauarbeiter – war es ein Italiener? –, der sich mit einem schweren Bohrhammer ohne Probleme durch den Beton fraß. Ob da oben …
    Lindt eilte wieder die Treppe hoch, suchte in den Regalen, entdeckte einen roten Blechkoffer mit der Aufschrift ›Hilti‹, ließ die Verschlüsse aufspringen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher