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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes
Autoren: Andreas Pittler
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angemeldet. Guschlbauer war offensichtlich auch in die Politik gegangen, denn er hatte im Mai für die Einheitsliste kandidiert und war erst im Vormonat Bezirksrat geworden. Viel Zeit zur politischen Betätigung war ihm freilich nicht mehr geblieben, denn wie sich zeigte, war im fraglichen Zeitraum dieses politische Gremium nur ein einziges Mal zusammengetreten, und just diese Sitzung hatte ohne Guschlbauer stattgefunden, da er entschuldigt gefehlt hatte. Formell war er nicht einmal noch angelobt gewesen, als ihn sein Schicksal ereilte.
    Doch Bronstein interessierte etwas anderes. Bis 1925 war Guschlbauers Anschrift laut Meldezettel Simmeringer Hauptstraße 111 gewesen. Da auf dem Dokument keine Türnummer aufschien, was bei der Genauigkeit der zuständigen Kollegen erstaunlich war, ließ sich Bronstein beim Grundbuch die Besitzverhältnisse dieser Immobilie ausheben, und so zeigte sich, dass Guschlbauer der Eigentümer des in Rede stehenden Hauses war. Eines Gebäudes, in dem eine interessant hohe Anzahl an Personen gemeldet war. Die Geschichte des Hauses schien nicht weniger ominös. Erbaut um die Jahrhundertwende im Auftrag eines Magistratsbeamten, der wenig später verschieden war, hatte es, wie das Grundbuch auswies, bis Anfang 1924 dessenWitwe zur Besitzerin. Etwa ein Jahr, bevor Guschlbauer offiziell in den ersten Bezirk übersiedelte, hatte die Alte das Zeitliche gesegnet und just Guschlbauer als ihren Erben eingesetzt. Diese Geschichte wirkte noch eigenartiger als jene mit dem Lebensmittelgeschäft, lag doch die Vermutung nahe, dass die Witwe Guschlbauer auch etwas Geld hinterlassen hatte, mit dem dieser sich den Weg zum Geschäftsmann geebnet hatte. Außerdem warf der Zins für die Wohnungen wahrscheinlich ebenfalls ein ansehnliches Körberlgeld ab. Das, so dachte sich Bronstein, sollte er sich genauer ansehen.
    Er war daraufhin nach seiner Mittagspause zum Schwarzenbergplatz gegangen, hatte sich in eine Garnitur der Straßenbahnlinie 71 verfrachtet und war zu besagtem Objekt gefahren. Der Augenschein bestätigte seine Vermutung. Es handelte sich um ein ziemlich heruntergekommenes Zinshaus, baufällig, düster und desolat. Es bestand aus zwei Trakten, einem direkt an der Straße und einem dahinter, vom ersten Bau durch einen schmalen Lichthof getrennt. Beide Komplexe wiesen vier Stockwerke auf, auf denen sich in Summe etwa vierzig Wohnungen befanden. Schon auf den ersten Blick war klar erkennbar, wie abgewohnt das Objekt war. Das Haustor hing schief in den Angeln, im Hausflur fehlte die Beleuchtung, und dem Gestank nach zu schließen gab es auch keinen Hausmeister. Quer über die Gänge waren Wäscheleinen gespannt, und eine konstante Geräuschkulisse, aus der Bronstein vor allem permanentes Husten, Kinderweinen und mütterliches Getadel herausfilterte, ließ Bronstein an ein Flüchtlingslager denken. Er lauschte kurz an einer Tür im zweiten Stock, registrierte, dass es dahinter recht lebhaft zuging, und klopfte an. Nach einer Weile öffnete ihm eine verlebte Frauensperson, die verzweifelt ihre Rangen zur Ordnung rief und ihn sodann erwartungsvoll anblickte.
    Bronstein stellte sich vor und kam dann schnell zur Sache: „Wissen Sie, ob der Hausherr ein gewisser Oskar Guschlbauerwar?“ Die Frau blickte ihn verständnislos an. „Hausherr Guschlbauer“, wiederholte Bronstein eine Nuance lauter, bemüht, das Kindergeplärr zu übertönen.
    „Guschlbauer? Nix Guschlbauer! Rabinowitsch!“
    Offenbar vermutete die Frau, er habe sich nach dem Mieter des Objekts erkundigt, schloss Bronstein. Ein kurzer Blick auf das Türschild bestätigte ihn in dieser Vermutung. „Verstehen Sie Deutsch?“
    „Nix Deutsch. Mann Deutsch. Mann Arbeit. Kommt Nacht“, radebrechte Frau Rabinowitsch. Bronstein stöhnte innerlich. „Gibt es jemanden hier, der unsere Sprache spricht?“
    Die Frau drehte sich um: „Rahel!“
    Ein sichtlich ausgemergeltes Mädchen von vielleicht sieben oder acht Jahren lugte angstvoll hinter dem Kleiderkasten hervor und eilte dann wie ein Deckung suchender Soldat auf seine Mutter zu, um sich sofort in ihrem Rücken zu verstecken. Die Mutter griff nach ihm und zog es nach vorn, sodass das Mädchen neben ihr zu stehen kam. Frau Rabinowitsch redete auf Rahel in einer Sprache ein, die Bronstein irgendwo zwischen Polnisch und Ukrainisch einordnete, ohne dafür einen konkreten Ansatz zu haben, denn er verstand kein einziges Wort, weshalb er sich darauf beschränkte, der Kleinen, so gutmütig, wie es ihm
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