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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes
Autoren: Andreas Pittler
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musste er wohl bringen, wollte er die Hintergründe dieses Hauses in Erfahrung bringen. Er holte noch einmal tief Luft und folgte dann Frau Lifschitz in ihr Reich.
    Dieses bestand, wie er nun erkennen konnte, aus dem Vorraum, der gleichzeitig als Küche fungierte und kaum größer als zehn Quadratmeter war. Daran schloss sich ein Schlafraum, der womöglich noch kleiner war und das einzige Fenster der Wohnung aufwies, welches auf den Hof ging und einen direkten Blick auf das Gestänge zum Ausklopfen der Teppiche bot. Immerhin wies die Bleibe eine penible Ordnung auf, sodass Bronstein der Einladung, sich zu setzen, ohne größere Hemmungen nachkam. „Sie müssen scho entschuldigen“, erklärte die Alte, „aber mir is heute leider der Kelch anbrennt. Des passiert mir sonst nie, aber z’erst is ma die Waschschüssel abeg’fall’n, und do hob i aufwischen müssen, und so hab i das Essen ganz vergessen. Erst bis i’s g’rochen hab. Aber da war’s, wie S’ ihna denken können, z’spät.“
    Bronstein bemühte sich um eine mitfühlende Miene. „Na, und dann is ma a no des Schmalzglasl am Blutzer g’fallen, und jetzt stink’ i wia a Iltis. Des tut ma echt lad, i waaß, Sie miassen ihna jetzt denk’n, de hot sie seit’m Kaiser selig nimma bod’t, oba des woa echt nua a Verkettung unglücklicher Umstände.“
    Bronstein fühlte sich ertappt und deshalb kam er ohne Umschweife wieder auf den Grund seines Hierseins zu sprechen. „Was, Frau Lifschitz, können Sie mir über dieses Haus erzählen?“
    „Na, weit is’ nimma her mit der Höh’, wenn s’ jetzt scho in Heimatkunde mocht, wos?“ Dabei kicherte die Alte genau so, wie es sich Bronstein von der Hexe im Märchen erwartet hätte.
    „Meine Frage, Frau Lifschitz, hat natürlich einen konkreten Grund. Ich ersuche Sie aber, diesen erst später enthüllen zu dürfen. Ich möchte Sie in Ihrer Erzählung vorerst nicht beeinflussen. Es heißt, Sie wohnen hier, seit das Haus erbaut wurde.“
    „Na.“
    „Nein?“
    „Na.“ Die Alte machte eine dramatische Pause, ehe sie fortfuhr: „I wohn erst do, seit des Haus bezugsfertig woa. Weu vurher woa’s a Baugruabn und dann a Baustö, ned wahr!“
    So viel zur semitischen Semantik, dachte sich Bronstein angesichts des Familiennamens der Alten. Wenigstens war sie geistig ganz auf der Höhe.
    „Gut, seit wann genau wohnen Sie also hier?“
    „Seit dem 1. Oktober 1899. I woa die erste Partei in dem Haus. Und bis 1924 hab i vorn im Erdgeschoß g’wohnt, in der Hausbesorgerwohnung. Dann bin i mit 69 in Pension gangen. Jetzt bin i 72, obwohl i ma manchmal denk, i schau aus wie hundert.“
    Ob die Alte Gedanken lesen konnte?
    „1924, da gab es ja auch einen neuen Hausherrn, oder?“
    „Der Guschlbauer, jo. Na des woa a G’schicht.“
    „Aha, und was für eine?“
    „Alsdern. Die Witwe, die was des Haus von ihrn Seligen übernommen hat, die woa ja fast so alt wia i, ned. Und auf amoi, im 19er Jahr, zwickt sich di a Gspusi auf. I man, de woa damals sechzig! Und der Galan, der woa g’rad amoi vierzig. Also da ist alles klar, oder? Aber der Alten woa des wurscht. Die hat glaubt, sie erlebt an zweiten Frühling oder so. Aber es is ihr schnell vergangen. Es hat koa Jahr dauert, da hat er ang’fangen, sich als Chef aufzumspielen. Und wieder a Jahr später, da hat er s’ des erste Mal verdroschen. Auf jo-na war des dann die tägliche Routine. Und wia s’ dann g’merkt hat, was da eigentlich rennt, da hat sa si dann eh selber wegg’ramt.“
    „Weggeräumt?“
    „Na ja, mit Schlafpulver halt. Glauben S’, a solche stirbt mit 65 einfach so? Na, de hot se hamdraht. Und der Hundling erbt dann no alles. So kann’s geh’n auf der Welt, das sag i Ihna.“
    „Was haben Sie gemeint, wie Sie gesagt haben, was da eigentlich rennt?“
    „Na ganz afoch. Des woa amoi a Haus mit anständige Parteien. Vorn hamma zwanzig Mieter g’habt, und hinten auch. Keine Aftermieter, keine Bettgeher, ja ned amoi Arbeitslose oder so was. Und dann is er kommen, der Guschlbauer, und hat alle der Reih’ nach außebissen, bis nur mehr i da war. Und in jede freie Wohnung hat er a halbes Dutzend Polacken oder Ruthener oder sonst irgendwelche Leut’ eineg’setzt, die was ka Wort Deutsch versteh’n. Die haben si hint’ und vorn ned auskennt, und darum nimmt er von denen natürlich den dreifachen Zins. Der hat si g’sundg’stoßen bei der G’schicht, des sag i Ihna. Vorn wohnt jetzt a ganzer Stamm, hundert Leut und mehr, die wos alle aus
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