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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes
Autoren: Andreas Pittler
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nur möglich war, ins Gesicht zu sehen. „Guten Tag, mein Kind“, sagte er mit bemühter Güte in der Stimme.
    Das Mädchen atmete tief ein und sammelte offenbar allen Mut, über den es verfügte. „Ich heiße Rahel. Ich bin acht Jahre alt und gehe schon zur Schule.“
    „Na das freut mich aber, Rahel. Ich bin der Oberstleutnant Bronstein, und ich würde gerne ein paar Fragen an deine Frau Mama stellen.“
    Die Kleine wandte sich an ihre Mutter und übersetzte ihr die Aussagen ihres Gegenübers. Daraufhin deutete die Mutterdurch ein kurzes Hochziehen der Mundwinkel ein Lächeln anund blickte Bronstein in der Folge erwartungsvoll an. Dieser sah nun wieder Rahel an und fuhr fort: „Weiß deine Mutter, dass der Hausherr Guschlbauer heißt? Kennt sie ihn?“
    Wieder dolmetschte das Mädchen. Bronstein konnte die Antwort schon an den Kopfbewegungen der Frau erahnen, und wenig später erhielt er die Bestätigung: „Mama sagt, sie weiß nichts von einem Hausherrn. Das erledigt alles Papa. Aber Papa ist bei der Arbeit, er kommt erst am späten Abend wieder.“
    „Sag mir, mein Kind, gibt es jemanden, der über dieses Haus Bescheid weiß, der vielleicht schon lange hier wohnt, einen Hausmeister vielleicht?“
    Diesmal antwortete Rahel, ohne vorher die Mutter ins Einvernehmen zu setzen: „Die alte Baba Lifschitz, die wohnt auf der Zweierstiege im Erdgeschoß. Die lebt hier schon, seit es das Haus gibt, sagt der Papa immer.“
    Bronstein lächelte: „Das hast du gut gemacht, mein Kind. Danke vielmals.“ Das Mädchen errötete ein wenig und knickste artig. Bronstein fühlte einen Anfall von Güte in sich aufsteigen und kramte in seiner Hosentasche. Er zog ein Zehngroschenstück hervor und hielt es Rahel hin: „Da, weil du so brav warst.“ Die Kleine sah ihre Mutter erwartungsvoll an, wohl, um von ihr die Erlaubnis einzuholen, das Präsent entgegenzunehmen. Die Mutter nickte kurz, worauf Rahel das Geldstück blitzschnell schnappte und freudestrahlend wieder hinter dem Kleiderkasten verschwand. Bronstein verbeugte sich kurz in die Richtung der Mutter und begab sich zur Wohnung der Frau Lifschitz.
    Das Erdgeschoß der zweiten Stiege wies nur eine einzige Wohnung auf, und so klopfte Bronstein ohne zu zögern an die entsprechende Tür. Ein rasselnder Husten war die erste Reaktion, und Bronstein hoffte inständig, die alte Lifschitz würde nach drei Jahrzehnten in Simmering des deutschen Idioms ausreichend mächtig sein. Er wartete, doch nichts tat sich.Vielleicht war die Alte schon komplett verblödet, dachte er sich und bereitete sich geistig auf das Schlimmste vor. Dann klopfte er noch einmal.
    Eine quietschende Stimme drang durch die Tür: „Is da wer?“
    „Ja. Einen guten Tag zu wünschen. Oberstleutnant Bronstein von der Wiener Polizei. Ich bräuchte eine Auskunft“, rief Bronstein durch die Tür.
    „A Auskunft“, echote die Alte, während sie ihre Türe öffnete, „i bin aber ka Auskunftei.“
    Bronstein ignorierte den vorwurfsvollen Unterton in der Stimme und wollte seine erste Frage stellen, ehe er vom Anblick, der sich ihm bot, irritiert wurde. Die Frau mochte an die hundert Jahre alt sein und sah genauso aus wie die Illustrationen der Hexe in „Hänsel und Gretel“. Ein markanter Rundrücken ließ die Alte kaum größer als einen Meter vierzig erscheinen, und als sie ihr vollkommen zerfurchtes Gesicht in Bronsteins Richtung hob, da fiel ihm sofort die riesige Warze auf dem Nasenhöcker auf. Gleich danach sprang ihm das spitze Kinn ins Auge, und der stechende Blick schreckte ihn beinahe mehr als der fast zahnlose Mund, dem die vorwitzige Bemerkung mit der Auskunftei entflohen war. Die Alte war offenbar seit dem Ableben Kaiser Franz Josephs nicht mehr hygienisch tätig gewesen, und der pestilenzartige Gestank, der sie umgab, wurde nur durch den penetranten Geruch angebrannten Kohlgemüses etwas gemildert. Bronstein kämpfte mit nachhaltigem Ekelgefühl und bemühte sich, Haltung zu bewahren.
    „Alsdern, was wollen S’ wissen?“
    Wenigstens war sie noch bei Sinnen, und es würde auch keine Verständigungsprobleme geben.
    „Ich bräuchte ein paar Informationen über die Geschichte des Hauses und über die jeweiligen Hausbesitzer.“
    „Na“, schnalzte die alte Lifschitz abschätzig mit der Zunge, „i siech scho, des dauert länger. Also kummen S’ erst einmaleine do. So zwischen Tür und Angel red’t sich’s ja ned so leicht.“
    Bronstein hätte diese Einladung gerne abgelehnt, aber dieses Opfer
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