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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes
Autoren: Andreas Pittler
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einem Glückspiel zu beteiligen, selbst wenn es nur um ein paar Groschen ging. Ein Oberstleutnant der Polizei, der sich solchen Vergnügungen hingab, hätte keinen akzeptablen Leumund mehr, auch wenn allgemein bekannt war, dass die höheren Chargen der Polizei oft und oft im Casino anzutreffen waren oder, schlimmer noch, in zwielichtigen Etablissements der Halbwelt, wo sie dem Stoß frönten – was durchaus nicht immer das Kartenspiel meinen musste. Jedenfalls saß Bronstein da und sah den jungen Arbeiter eben grandios verlieren, als die Tür zum Gastraum aufgestoßen wurde und der alte Pokorny schwer schnaufend die Schankstube betrat.
    Der alte Pokorny, das war auch so eine Institution der Wiener Polizei. In jenem Jahr, da die Donaumonarchie die Verwaltung von Bosnien und Herzegowina vom Berliner Kongress übertragen bekommen hatte – und das war nun immerhin fast 50 Jahre her –, da war er 14-jährig in die Polizeischule eingetreten, weil es bildungsmäßig nicht für die Militärrealschule gereicht hatte. Eigentlich hatte es seit der Ausrufung der Republik immer wieder Versuche gegeben, den alten Pokorny zu pensionieren, aber der hatte es stets verstanden, seinen Abschied noch einmal ein wenig hinauszuschieben. Doch die gesamte Wiener Polizei wusste, in einem Jahr, da würde man dem Pokorny eine goldene Taschenuhr in die Hand drücken, ihm zum 50-jährigen Dienstjubiläum gratulieren und ihn dann ein für alle Mal aufs Altenteil schicken. Vorerst freilich war Pokorny noch im Dienst und Bronsteins Gruppe zugeteilt. Und da der alte Pokorny in Ottakring wohnte, konnte sich Bronstein ausrechnen, dass der Mann nicht zufällig dieses Lokal betreten hatte. „Servus, Oberst“, ließ sich Pokorny daher auch vernehmen, den „Leutnant“ wie gewohnt verschluckend, „mia ham an Mord.“
    „Na, an Bettler“, gab Bronstein lakonisch zurück. Pokorny verstand den Aperçu nicht, da er nicht auf die Kartenspieler geachtet hatte, weshalb er nicht wissen konnte, dass hier preferanzt wurde, wo der „Mord“ die höchste Spielstufe ist, eine über dem „Bettler“, der wiederum eine über der „Herz“ steht. Daher sagte Pokorny nur: „I glaub ned, dass des a Bettler war, aber i hab eam a no ned g’sehn.“
    Bronstein verdrehte kurz die Augen. „Wo geht’s hin?“
    „A Greißlerei in der Bartensteingassen. Der Tote liegt in der Speis’.“
    „Na servus. Na, dann pack ma’s.“ Bronstein trank den letzten Schluck Bier aus, legte im Hinausgehen dem Wirt den Betrag auf die Schank, nickte kurz und folgte dann dem alten Pokorny zum Einsatzwagen, der direkt vor der Einfahrt stand. Schließlich nahm er neben Pokorny im Fond des Wagens Platz.
    „Das erinnert mich“, begann Pokorny unvermittelt, während der Fahrer den Wagen anrollen ließ, „an den Fall Berghammer im 89er Jahr.“
    Bronstein drehte die Augen abermals nach oben und seufzte unhörbar. Pokorny war für seine ebenso langatmigen wie uninteressanten Vorträge vermeintlich großer Fälle vergangener Tage berüchtigt und gefürchtet.
    „Der Berghammer war ein Beamter, glaub’ ich. Ein Gerichtsadjunkt. Oder ein Diurnist von der Finanz? … Nein, ein Oberkommissär von die Finanzer … Zollwache? … Ja, ich glaub, er war bei der Zollwache. … Oder bei der Grenzgendarmerie, na egal, ein Beamter war er halt, der Berghammer. Stattlicher Kerl eigentlich. Ziemlich groß. Und irgendwie beleibt ein bissl. Also eigentlich a G’füllter, könnt’ man sagen. Weißt eh, was ich mein’.“
    Bronstein wusste, was der alte Pokorny meinte. Was Bronstein nicht wusste, war, wie lange der Wagen noch bis zur Bartensteingasse brauchen würde, um ihn von PokornysEmanationen zu erlösen. Bronstein hätte den alten Pokorny gerne ignoriert, doch die Erfahrung lehrte, dass diesem das völlig egal war. Wenn er einmal damit begonnen hatte, eine Geschichte zu erzählen, dann hielt ihn nichts und niemand mehr auf.
    Der Wagen hatte den Karlsplatz passiert und bog nun in die Ringstraße ein. Bronstein kurbelte das Fenster ein wenig hinunter und warf den Rest der Zigarette, die er sich gleich nach Beginn der Fahrt angezündet hatte, salopp auf die Fahrbahn. Nur noch fünf Minuten, und er würde endlich von Pokornys Vortrag erlöst sein.
    „… und tatsächlich haben sie ihn dann zwei Tage später im Straßengraben gefunden.“
    Bronstein stutzte. Was hatte Pokorny da eben erzählt? Dieser Berghammer hatte sich irgendwo von irgendwelchen Schmugglern bestechen lassen und war dann, vom
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