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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse
Autoren: Christopher Ransom
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nicht die Nadelstreifenhosen und edlen Schuhe. Die Abende verbrachte er im Fernsehsessel, während seine Kinder versuchten, ihn zu provozieren. Ich lernte, seine Stimmungen am Stand der Augenbrauen und der Heftigkeit abzulesen, mit der er mit dem Finger auf die Fernbedienung einstach. Sie waren eine glückliche Familie – fleißig, oft in Feierlaune, immer in Bewegung, bis es Zeit wurde, zu Bett zu gehen, und der Haushalt in wohlverdienter Ruhe zum Stillstand kam.
    Mit einem Schwung aus dem Handgelenk ging es weiter zum nächsten Haus.
    Officer Lucy Arnold und ich hatten mal eine Art Techtelmechtel gehabt. Sie war eine hochgewachsene Brünette, athletisch, mit sehnigen Armen und fast nicht wahrnehmbaren Brüsten, eine Fahrradpolizistin, die am Strand von Venice patrouillierte. Für eine Polizistin war sie ausgesprochen schüchtern. Sie behauptete, das hässliche Entlein der Highschool gewesen zu sein, aber sie sah gut aus. Nachbarschaft und professionelle Höflichkeit öffneten ihr meine Tür, und ich nahm ihr Angebot, mir zu helfen, dankbar an. Schnell wurde aus Officer Arnold einfach Lucy. Eine beiläufige Freundin mit Draht zur Polizei, mein Mauerblümchen-Maulwurf.
    Während Staceys Fall langsam kalt wurde, entwickelten Lucy und ich eine Routine, die aus zwei-, dreimal die Woche stattfindenden Happy Hours auf meiner Veranda bestand, mit launigen Geschichten aus ihrem Arbeitsalltag und vorsichtigen Anfragen bezüglich meiner »Fortschritte«. Dann und wann, wenn die Freitagsmargaritas ein wenig zu stark gemixt waren, machte Lucy errötend Annäherungsversuche, meist nicht mehr als eine schnelle Umarmung oder das Zerdrücken einer Träne (ihrer) aus Staunen über meinen Stoizismus (Alkoholnarkose) angesichts meines Verlustes. Wir fummelten uns durch ein paar ihrer Sport- BH s, und einmal, als sich unsere Wege eines Nachmittags in der Küche kreuzten – ich kam von der Toilette, und sie wandte sich gerade mit zwei kalten Bieren vom Kühlschrank ab –, kam es irgendwie dazu, dass sie es mir vor dem Herd mit der Hand besorgte. Aber sie ließ mich den Gefallen nicht erwidern, vielleicht, weil sie spürte, dass ich nichts zu bieten hatte. Irgendwann konnte ich die tumbe Planlosigkeit unserer zunehmend trübsinnigen Happy Hours nicht mehr ertragen. Sie verstand. Sie würde für mich da sein, wenn ich mit jemandem reden wollte.
    Ich glaube nicht, dass sie die Gelegenheit auszunutzen versuchte, sich einen verwundbaren Mann zu angeln, nachdem dessen Frau endlich aus dem Weg war. Sie war einfach ein nettes Mädchen, das das Pech hatte, meine zutiefst widersprüchlichen Signale zu empfangen. Hilfe, vielen Dank fürs Abendessen, und jetzt lass mich bitte in Ruhe. Unsere Beziehung kühlte sich ab. Sechs Monate vergingen. Wir begegneten uns weiterhin ganz freundlich beim Müllrausbringen oder vor den Lebensmittelregalen bei Ralph’s , aber ich beobachtete sie nur noch selten durchs Teleskop.
    Zu dem Zeitpunkt, als sich der Vorfall mit Mr Ennis ereignete, dachte ich überhaupt nicht mehr an Lucy Arnold.
    Wenn die Familie Gomez meine Sitcom war, dann war Mr Ennis mein Stillleben. Ich erfuhr nie seinen gesellschaftlichen Status, aber ich tippte auf eingefleischter Junggeselle oder Frühwitwer, denn ich sah nie Besuch bei ihm. Kein Minivan hielt vor dem Haus und spuckte Enkelkinder aus, keine alte Schachtel fuhrwerkte ihm je mit dem Staubsauger zwischen den Beinen herum. Er war wie ein großväterlicher Silberrücken-Gorilla, jener, der im Zoo ein halbes Dutzend Bananen auf dem Boden um sich herum liegen hat, weil ihm alles egal ist und er sich nur noch wünscht, dass ihm jemand einen Pfeil zum Einschläfern in den Wanst jagt. Sein Wohnzimmer war ein Schaukasten mit Sofas aus der Jahrhundertmitte, selbst gebastelten Lampen aus abgeschnittenen Flaschen, einer Vinyl-Ottomane und einem Kugelterrarium mit Torfmoos und einer winzigen Schildkröte auf einem Wurzelstück. Manchmal beugte sich Mr Ennis über das Terrarium und sprach mit der Schildkröte. Ich hätte viel darum gegeben, diese Gespräche belauschen zu können. Ich taufte die Schildkröte auf den Spitznamen Mini-Ennis.
    Mr Ennis lebte ein Leben in Einsamkeit und Bedürfnislosigkeit und tauchte wie durch Magie jeden Abend gegen sieben mit einem Hühner-Tiefkühlgericht in der Aluschale vor dem Fernseher auf. Die Mahlzeiten stellte er auf einem Klapptischchen ab und sah erst mal anderthalb Stunden Lokalnachrichten. Dann folgte Glücksrad, wobei die Buchstabenblöcke
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