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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna
Autoren: Leonid Leonow
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beherrscht, daß er sich in einer Semesterarbeit an einen Stilvergleich zwischen dem Igorlied und der Sadonstschina habe heranwagen können, nun aber hapere es mit seinem Wortschatz.
    Die Entscheidung war sofort zu treffen. Der Weg führte übers Mittelmeer. Mit gesenktem Blick, glühend vor Verlegenheit, schwieg Shenja.
    »Sagen Sie offen, Jenny, was fürchten Sie – die weite Fahrt, die Seekrankheit, den fragwürdigen Komfort in Mesopotamien oder … die Blicke wegen meines skurrilen Äußeren?« setzte er halb ironisch hinzu. »Oder hält Sie womöglich eine Herzensangelegenheit in Paris?«
    »Aber nein, wo denken Sie hin, keineswegs«, murmelte Shenja, entsetzt ob solcher Mutmaßung. »Das ist alles längst vorbei … Ich kann es Ihnen nur nicht erklären.«
    »Ich möchte mich keineswegs in Ihre persönlichen Dinge drängen, desgleichen inspiziere ich ja auch das Gepäck meiner Mitarbeiter nicht. Die Reise wird Ihrem Kummer etwas Abwechslung schaffen, der, wie ich sehe, Ihren Blick für Ihr Alter etwas oft und über Gebühr umflort.«
    Nein, sie hatte Gründe für ihre Zweifel. Was Seekrankheit anlangte, kannte sie sich ein bißchen aus seit jener Fahrt, wo sie mit den andern Unglückseligen eingepfercht im Zwischendeck lagerte und alles besoffen durcheinander grölte, johlte, sang, zankte, zum Gitarrenspiel die eigene Geburtsstunde verfluchte, so daß sie zwei Tage lang kein Auge schloß. Aber in einer Einzelkajüte, o lala! Einmal auf Elefantenjagd gehen in Afrika! Das Wort sprang ihr von selbst von den Lippen: dieser Erdteil wollte ihr den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Von dort war endlich tags zuvor Nachricht über Stratonow gekommen. Sie bestätigte Gerüchte, wonach er in die Fremdenlegion eingetreten war, jene letzte Zuflucht hoffnungsloser Existenzen aus aller Herren Ländern. Er sei in Algerien gefallen, hieß es, bei Gefechten um ein Kolonialfort, und sein letzter Seufzer habe ihr, seiner Frau, seiner Shenja gegolten. Dem schmerzgebeugten Weib entging die Menge beschwörend-rührseliger Begleitumstände, mittels derer der gewitzte Tote die Witwe von seinem Ableben zu überzeugen suchte. Nein, nichts hielt sie mehr in dieser Stadt, wenn nur … Sie stockte: Sie zweifelte, weil sie ihr sämtliches Vermögen auf dem Leibe trug. Und auf einer solchen Reise würde sie kaum jede Nacht waschen können. Fiele die Reise wenigstens etwas später, so wäre man die Schulden los und hätte sich mit dem Nötigsten versehen … Da eröffnete ihr Mr. Pickering, sein bankrotter Verleger, Mitinhaber einer größeren Konfektionsfirma in Bordeaux, habe ihm für sein Buch Sumerische Inschriften ein Teilhonorar in Form von Damenbekleidung gezahlt, die – welch ein Zufall! – seiner angehenden Sekretärin wie nach Maß passen mußte. Shenja schien es angeraten, solch erstaunlichem Zufall nicht weiter nachzuspüren, zumal die Dinge ja auf Konto ihres Gehaltes gingen. »Entschuldigungen Sie, was für Inschriften?« fragte sie aus Höflichkeit und runzelte vorsorgehalber unbestechlich die Brauen. Als dann noch herauskam, daß Mr. Pickering in seiner gelehrten Zerstreutheit morgens zwei Koffer zuviel gekauft hatte, geräumig und preiswert, schlug die tödlich erschrockene Shenja mit flatternden Lippen die Stelle glattwegs aus.
     
    Der Dampfer, riesig, drei Schornsteine, trug noch Tarnanstrich. Dem mittleren Schornstein entquoll dicker Qualm, wie von Kinderhand gemalt. Die über die Reling gebeugten festtäglichen Leute taten, versteht sich, nur so, als wenn sie dem Hin und Her der Ladearbeiten zusähen, in Wirklichkeit verfolgten Hunderte Augen sie, Shenja, die da an der Seite des Engländers die Gangway heraufkam. Und schon stand auch sie an der Reling unter ihnen und schaute auf die windbewegte großartige, erneuerte Nachkriegswelt zu ihren Füßen. So weit der Blick schweifte, allenthalben werkten Leute, schrubbten, wuschen, malten, säuberten die Schönheit des Lebens vom sinnvoll schnöden Schmutz, der sie ja nur schützte. Selbst auf einer schaukelnden Fischerfeluke, wie man durchs Fernglas sah, scheuerte groß und klein mit Dutzenden Händen, flickte Segel, in Vorbereitung auf glückliche Zeiten. Über allem hin tönte verstohlen Musik und flogen weiße Vögel.
    Shenja merkte nicht, wie ein schmutziger Schlepper den Seeriesen bei den Nüstern nahm und ihn vor der Hafenausfahrt seewärts drehte. Ins Gesicht wehte Fischgeruch, und fast schwindelte ihr, als das Schiff sich breitseits zur See legte. Am liebsten hätte
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