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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Heißt das so auf englisch?« »Nein, es heißt einfach: I shall love her«, korrigierte er unsicher.
    Niemand ringsum hörte ihnen zu. Die Telianer rüttelten zwanzig Schritt weiter jemand, der auf dem Boden des Bück lag. So mühten sie sich abwechselnd, ihn aus seliger Vergessenheit zurückzuholen ins bittere Erdendasein, wo man seiner Fahrkünste bedurfte.
    Plötzlich schmiegte Evgenia Ivanovna den entkräfteten Körper an ihren Mann.
    »Fahren wir nach Hause, gleich morgen, mein Gott … hier ist mir nicht wohl, ich kann nicht mehr.«
    Seine Schulter zuckte an ihrer Wange.
    »Bist du krank, Jenny?«
    »Ich weiß nicht, gar nichts weiß ich … Aber ich glaube, wir werden bald drei sein.«
    Diese Neuigkeit mußte sie Mr. Pickering wiederholen, ehe das triste Verlassenheitsgefühl der feierlichen Gewißheit wich, daß alles ganz anders war: Allmählich und ohne je wiederzukehren, schwanden die Schatten trüber Gedanken von seiner Stirn. Er zog ihre Hand an die Lippen, hielt sie locker vor sich hin und sah lange auf die feuchten, kräftigen nicht lügenden Finger.
    »Sag mir das noch mal auf russisch«, bat er zum drittenmal.
    Da kam Stratonow, warf den ganzen Arm voll Reisig in die Flammen und trat wieder zurück, ehe es noch losknisterte. Wiederum hockten sich alle im Rund auf den Teppich zu Ehren des hochtanzenden Feuers. Eine Weile war Stratonow für die Pickerings hinter dem Schwall von Flammen und Qualm kaum zu sehen. Der Guide saß mit hängendem Kopf auf der Chauffeursmatte und stierte auf einen Haufen grasverwachsener Feldsteine, die von Straßenarbeiten dalagen. Ein sonderbarer Zufall wollte es, daß der äußerste wie ein Herz aussah, allerdings wie das auf einer schlichten Kindermalerei. So eines trug denn auch Stratonow in der Brust. Er hatte Lust, den Stein zu greifen, als Andenken an diese Alasan-Nacht zu bewahren. Mühelos ließ er sich aus dem vom Lauf der Zeit gehöhlten Lager heben. Auf dem Grund der Kuhle regte sich etwas Schwarzes, reckte bedrohlich den Rüssel. Stratonow schleuderte den Stein mit Wucht zurück, worauf er verwirrt die Anstalten zu Abfahrt traf. Ihm fiel es zu, Teppiche einzurollen und leere Flaschen und ungewaschenes Festtagsgerät im Kofferraum zu verpacken. Er tat es ohne Nötigung und mit einem Eifer, der von Bußwilligkeit und einiger Übung zeugte.
     
    Der dann folgende Abschied sah die Beteiligten in zwei ungleiche Gruppen geteilt. Die eine bildeten die Pickerings, die andere der Haufen Ortsbewohner und Gaffer. Auf die Kunde von weit her gereisten Fremden waren nicht wenig Leute, darunter gleich auffallende Russen, von den benachbarten Feuern gekommen, um sie angesichts ihres weiten Weges mit einem Glas Wein zu verabschieden. Wennschon der Engländer ob seiner Weltberühmtheit und seinem Äußeren wegen wohl die größere Beachtung verdient hätte, starrte jedermann nicht den Engländer an, sondern seine junge Frau; die spähte umher mit jener schweigenden angestrengten Aufmerksamkeit, die nichts vergessen will, wovon man sich für immer trennt.
    Da ging ihren geschärften Sinnen auf, was eigentlich geschah. Das alles, was aus den Augen der Zurückbleibenden leuchtete – bescheidener Stolz, häuslicher Ärger, berufliche Bitternis, der mitunter tragische Alltag –, lag schon hinter ihr. Nur fühlte sie sich nicht erleichtert, wie erhofft, bei dieser Erkenntnis, eher beunruhigte sie die beklemmende, schuldbedrückte Ahnung, etwas Unersetzliches verloren zu haben. Ja, sie hatte sich der Sorgen ihres früheren Landes schlankweg entschlagen, der heutigen wie der morgigen, der zuweilen übermenschlichen Anstrengungen und Erlebnisse einer Zeit, die diese Menschen einte wie eine gefährliche Parole der Geschichte. Zum Greifen nahe, trennten sie dennoch schon Meeresfernen von Evgenia Ivanovna. Als sie ihnen von weit her schüchtern zulächelte, quittierten sie das mit freundlicher Kühle, denn eine Ausländerin nach altem, biederem Brauch zu verabschieden wäre doch unhöflich, ja wider die guten Sitten gewesen.
    Da dankte Mr. Pickering den Gastgebern und fragte unter anderem, ob es für sie keine Reisegelegenheiten nach England gebe. Nein, sagten die Telianer, an solche Gelegenheiten sei zur Zeit noch nicht gedacht.
    »Leben Sie wohl! Möge der Menschengeist auffunkeln wie guter Kachetinerwein!« rief der Engländer fast akzentfrei zum Abschied.
    »Buddle deine Vergangenheit nur aus, auf daß die Zukunft davon sauberer und schöner werde!« entgegneten die Telianer im

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