Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna
Autoren: Leonid Leonow
Vom Netzwerk:
Sie mir gesandt auf die Gebete hin meiner sämtlichen Vorfahren … und trotzdem, trotzdem, mag uns das Leben scheinbar getrennt haben, seit jener Nacht waren wir immer zusammen. In meiner Dachkammer in Tiflis steht ein Stuhl, der nie benutzt wird, weil zur Dämmerstunde Sie darauf sitzen. Und ich weiß, ich weiß , Sie sitzen gern auf diesem Stuhl. Ich bitte ja um nichts, dem Bettler genügt ein Phantom. Nun gehn Sie auch von dort fort! Dies ist die letzte Dämmerstunde, die wir zusammen sind. Soll es, egal! Verzeihen Sie einem Stratonow, einem Unglücklichen! Gesegnet sei Ihr Name in alle Ewigkeit, Jenny!«
    Der Nachdrücklichkeit halber schloß er seine Erklärung, indem er ihr leise, verstohlen den Ellbogen drückte. Und da schlug sie ihm ins Gesicht, schlug beileibe nicht heftig, da ihr eben zum zweitenmal in dieser Nacht übel wurde. Eigentlich schlug sie nur ganz sacht, aber ausreichend genug, um ihm für immer die Illusionen zu nehmen, die zu ihrem jetzigen Verhältnis kaum passen wollten.
    »Das ist häßlich, Herr Stratonow. Sie nennen mich, wie mein Mann mich nennt … und auch nicht immer«, verwies sie ihn mit bebender, doch fester Stimme.
    So zu tun, als sei gar nichts geschehen, schien Stratonow platterdings unmöglich. Schon wollte er der eleganten Ausländerin mit einer artigen Verbeugung danken, weil sie ihn mit ihrer Ohrfeige weiterer Gewissensnöte enthoben hatte, doch dazu kam er nicht. Im nächsten Augenblick klärte sich Evgenia Ivanovnas Unpäßlichkeit in der natürlichsten Weise, und empfindlicher als die Handgreiflichkeit traf ihn nun das folgende. Unaufhaltsam würgte es Shenja die Kehle hoch, sie stürzte in die Knie, kaum daß sie ein paar Schritt weiterlaufen konnte. Obwohl sie sich zu beherrschen suchte, die Hand vor den Mund preßte, quoll es durch ihre Finger. Mit Magenverstimmung war das nicht zu erklären, wenn sie diese Nacht auch manches Scharfgewürzte und Ungewohnte gegessen hatte. Mehr noch, dieser Vorfall überzeugte den Guide, daß die künftige Mutter eines englischen Babys in der gegebenen Lage gar nicht anders hatte handeln können.
    Er hatte sich bestürzt abgewandt. Als er es wagte, zu ihr hinzublicken, lag sie immer noch auf den Knien und wischte mit einem Büschel blauen Wermutkrauts die Hand ab.
    »Es kam so plötzlich, entschuldigen Sie … wo ist denn mein Taschentuch? Reichen Sie's mir bitte mal …«, bat sie gepreßt, kläglich und um Fassung bemüht, und da wühlte er abseits mit gelähmten Fingern in ihrer Handtasche. »Ja, dies bitte … Und nehmen Sie gleich den Ring, Ihren alten Ring, er liegt zuunterst, in Papier. Ich wollte ihn Ihnen bei der Abreise zurückgeben, aber jetzt ist schon alles gleich.« Und bevor die Würgerei wieder anfing, entschuldigte sie sich nochmals wegen der verursachten Mühen, die es im Grund nicht gab.
    Im gleichen Ton, ganz außer sich, murmelte Stratonow, von Mühe könne keine Rede sein, im Gegenteil, seine vornehmste Pflicht sei, die Kunden zu bedienen, ihnen Unbequemlichkeiten zu ersparen, und wäre ein Gefäß zur Hand, würde er auch Wasser holen, wenn auch – der Nähe wegen – fürs erste unabgekochtes vom Fluß.
    »Schon gut, es geht schon. Wir sind ja bald zu Haus. So, und jetzt drehen Sie sich bitte um.«
    Während sie sich hinter ihm erhob, an sich herumwischte und -klopfte, starrte er auf das kalte, matte Gold in seiner Hand, das er dieser Frau einst über den Finger gestreift hatte.
    »Darf ich Ihnen den Arm bieten?« fragte er dann mit fremder Stimme.
    »Nein, ich kann allein gehen. Es ist vorbei … nur bitte etwas schneller, ich bin so müde.«
     
    Sie gingen zurück querfeldein, umbogen Felsbrocken und sonstige Hindernisse, auf die sie stießen. Die Sonne war unbemerkt emporgestiegen, der Tag kam grau herauf, von irgendwoher zogen Wolken am ganzen Himmel zusammen. Wie das Alasan-Tal doch in dieser einen Stunde verödet war! Man sah den dicken Staub auf den Schuhen.
    »An unsern Alawerdy-Ausflug werde ich immer gern zurückdenken«, sagte sie mit tiefem Seufzer. »Findet der Jahrmarkt eigentlich nur einmal jährlich statt?«
    Das fragte sie auf französisch, was hieß, daß ihre Episode, die sich schon etwas peinlich lange hinzog, nun begraben und vergessen sein sollte. Stratonow hatte längst gelernt, Schicksalsschläge aller Art mit Fassung zu tragen, und war gewitzt genug, heikelsten Angelegenheiten mit der letzten Weisheit der Pechvögel zu begegnen, daß es noch schlimmer hätte kommen können. Doch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher