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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Autoren: Anna Carey
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gehört und war zu mir ins Bett gekrochen und hatte zugelassen, dass ich mein Gesicht an ihren Hals schmiegte. Sie hatte zur Decke gedeutet und mir erklärt, dass unsere Mütter im Himmel über uns wachten. Sie liebten uns vom Himmel aus.
    »Ich komme dich holen«, flüsterte ich und bekam die Worte kaum heraus. »Ganz bestimmt«, bekräftigte ich noch einmal.
    Doch wenn ich jetzt nicht ging, würde ich es nie tun, und so rannte ich den Gang und das Treppenhaus hinunter und zum Krankenzimmer, wo die Lehrerin mit einem Sack Nahrungsmittel auf mich wartete.
    Mit einer Pinzette zog sie die Dornen aus meinen Handflächen. Während sie mich verband, hielt sie den Blick starr auf die Mullbinde geheftet, die sie Schicht um Schicht um meine Hände wickelte. Erst nach einer Weile begann sie zu sprechen.
    »Es fing mit der künstlichen Befruchtung an«, erklärte die Lehrerin. »Der König erkannte in der Wissenschaft den Schlüssel, die Erde schnell und effizient wiederzubevölkern, ohne die ganzen Komplikationen von Familien, Heirat und Liebe. Er dachte, wenn ihr Angst vor den Männern hättet, würdet ihr Mädchen gern ohne sie Nachwuchs produzieren. Und als die ersten Absolventinnen in dieses Gebäude gingen, war es bei manchen wirklich so. Doch Schwangerschaft und Geburt können extrem sein. Und oft gibt es Schwierigkeiten mit Mehrfachgeburten. In den letzten Jahren ist es schlimmer geworden und ich befürchte, das Ende ist noch nicht abzusehen.«
    Ich sah wieder auf die Schublade, wo Dr. Hertz unsere wöchentlichen Injektionen aufbewahrte, die unsere Brüste wund machten und bei manchen Mädchen heftige Krämpfe auslösten. Auf der Arbeitsfläche standen unzählige Glasbehälter mit Vitaminen, die nach Wochentagen geordnet in unsere Pillendosen sortiert wurden. Wir schluckten sie wie buntes, zuckerumhülltes Gift am Morgen, Nachmittag und Abend.
    »Sie haben also immer Bescheid gewusst – über die Absolventinnen?«
    Die Lehrerin starrte stumm durch die Jalousien. Als sie sicher war, dass die Wächterin vorbeigegangen war, bedeutete sie mir, ihr durch die Hintertür in die Nacht hinaus zu folgen. In der Ferne heulten wilde Hunde und das Geräusch verursachte mir Herzrasen. Wir liefen an der Mauer entlang, die das Schulgelände umgab. Die Lehrerin drehte sich um, um sicherzugehen, dass unser Vorsprung vor der Wächterin groß genug war, sodass sie uns nicht sehen konnte. Als sie weitersprach, war ihre Stimme viel leiser als zuvor.
    »Zuerst kam die Epidemie«, fing sie an, »und dann machte der Impfstoff alles noch viel schlimmer. Überall war nur noch Tod, Eve. Es gab keine Ordnung mehr; die Menschen waren durcheinander. Verängstigt. Der König riss die Macht an sich und ab da musste man sich entscheiden, ihm zu folgen oder sich allein in der Wildnis durchzuschlagen.«
    Während sie sprach, sah sie mich nicht an, aber ich konnte erkennen, dass sie Tränen in den Augen hatte. Ich dachte an die jährlichen Reden, wenn wir uns in der Mensa versammelten und dem einzigen Radioapparat lauschten, der vor der Schulleiterin auf dem Tisch stand. Der König, unser großer Führer, der einzige Mann, der geachtet werden musste, sprach durch die Lautsprecher zu uns. Er erzählte uns von den Fortschritten in der Stadt aus Sand, von den Wolkenkratzern, die gebaut wurden, von der Mauer, die Armeen, Viren und die Bedrohungen der Wildnis abhalten würde. Er betonte, dass dort der Beginn des Neuen Amerika lag, dass es eine Chance gab, alles wieder aufzubauen. Er versprach, dass wir sicher sein würden.
    »Ich bin ihm gefolgt«, fuhr die Lehrerin fort. »Ich war bereits fünfzig. Meine Familie hatte die Seuche nicht überlebt. Ich hatte keine Wahl. Allein konnte ich nicht überleben. Aber du sollst die Chance bekommen, die ich nicht hatte.«
    Wir kamen zu dem Apfelbaum, der seine Äste vor der Mauer ausbreitete. Pip und ich hatten schon unzählige Male darunter gesessen, die Früchte gegessen und die angefaulten Äpfel an die Eichhörnchen verfüttert. »Wo soll ich hingehen?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
    »Wenn du ungefähr drei Kilometer immer geradeaus läufst, kommst du zu einer Straße.« Ihre dünnen Lippen bewegten sich langsam beim Sprechen, die Haut war schuppig und aufgesprungen. »Es wird gefährlich sein. Such die Schilder, auf denen eine 80 steht, und geh nach Westen, in Richtung der untergehenden Sonne. Bleib in der Nähe der Straße, aber halte genug Abstand.«
    »Und dann?«, fragte ich. Sie griff in die Tasche
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