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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Autoren: Anna Carey
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ihres Nachthemds und zog einen Schlüssel heraus, den sie wie einen Edelstein in ihren faltigen Händen hielt.
    »Wenn du immer weitergehst, kommst du zum Meer. Auf der anderen Seite der roten Brücke gibt es ein Camp. Soweit ich weiß, heißt es Califia. Wenn du es dorthin schaffst, werden sie dich beschützen.«
    »Aber was ist mit der Stadt aus Sand?«, fragte ich, während sie sich die Mauer entlangtastete. Das Gespräch war zu Ende, das konnte ich spüren, aber mir gingen tausend Fragen durch den Kopf. »Was geschieht mit den Kindern, die geboren werden? Wer kümmert sich um sie? Und die Absolventinnen, werden sie je freigelassen?«
    »Die Kinder werden in die Stadt gebracht. Die Absolventinnen …« Sie hielt den Kopf gesenkt und tastete weiter die Mauer ab. »Sie stehen im Dienst des Königs. Sie werden freigelassen, falls und wenn es der König für angemessen hält, falls und wenn genug Kinder produziert wurden.«
    Hinter einigen Zweigen verbarg sich eine Öffnung, die so winzig war, dass man sie selbst bei Tageslicht kaum sehen würde. Lehrerin Florence steckte den Schlüssel hinein und nach einer Umdrehung schob sich die Steinmauer zur Seite und gab eine schmale Tür frei. Sie warf einen Blick zurück, auf die andere Seite des Schulgeländes.
    »Eigentlich ist es ein Notausgang, falls es einmal brennen sollte«, erklärte sie.
    Vor mir erstreckte sich der Wald, dessen Hänge nur durch den hellen Vollmond erleuchtet wurden. Das war alles. Woher ich kam, wohin ich ging. Meine Vergangenheit, meine Zukunft. Ich hätte die Lehrerin gern noch so vieles gefragt, über diesen seltsamen Ort namens Califia, über die Gefahren der Straße; doch genau in diesem Moment leuchtete der Taschenlampenstrahl der Wächterin um die Ecke des Wohnheims.
    Lehrerin Florence stieß mich an. »Los jetzt, geh!«, drängte sie. »Geh!«
    Und ebenso schnell, wie sich die Tür öffnete, schloss sie sich wieder hinter mir und ich war allein in der kalten, sternenlosen Nacht.

VIER
    Als ich die Augen öffnete, sah ich als Erstes den Himmel: ein blaues, grenzenloses Etwas; so viel größer, als ich ihn mir je vorgestellt hatte. In den ganzen zwölf Jahren an der Schule hatte ich immer nur den Ausschnitt zwischen der einen und der anderen Mauer gesehen. Jetzt, da sich der Himmel direkt über mir wölbte, bemerkte ich die violetten und gelben Streifen auf diesem riesigen Schirm, die nun im frühen Morgenlicht sichtbar wurden.
    Aus Angst, stehen zu bleiben, war ich in der letzten Nacht so weit und so schnell gerannt, wie ich konnte. Ich war unter zerfallenen Brücken durchgekrochen und über tiefe Gräben geklettert, bis ich schließlich das wunderbare vom Mondlicht angestrahlte Schild mit einer 80 erblickt hatte. Erst da hatte ich mich in einem Graben ausgeruht, meine Beine waren einfach zu müde gewesen, um noch einen einzigen Schritt weiterzugehen. Meine Hose starrte vor Dreck, mein Hals war trocken.
    Ich kletterte auf den harten flachen Bergkamm und spähte in den Morgen hinaus. Auf dem Abhang wuchsen büschelweise Blumen, hohes, unglaublich grünes Gras und Bäume, die in ungewöhnlichen Winkeln trieben und miteinander verschlungen waren. Wenn ich an die Bilder dachte, wie die Welt vor der Epidemie ausgesehen hatte, konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Da gab es Fotos von akkuraten, gepflegten Rasenflächen und Reihenhäusern in gepflasterten Straßen, wo die Büsche zu perfekten Vierecken gestutzt waren. Hier sah es entschieden anders aus.
    Am Horizont rannte eine Hirschkuh durch eine alte Tankstelle. Vor der Seuche wurde beinahe alles mit Öl angetrieben. Da es jedoch keine Arbeiter mehr gab, um die Raffinerien zu betreiben, hatte man sie geschlossen. Öl stand jetzt nur noch der Regierung des Königs zu, darüber hinaus gab es eine festgesetzte Zuteilung für jede Schule. Die Hirschkuh blieb stehen, um das Gras zu fressen, das zwischen den verrosteten Zapfsäulen wuchs. Am Himmel änderten dichte Vogelschwärme ihre Richtung, ihre Flügel schillerten im hellen Morgenlicht. Ich stampfte mit einem Fuß auf den Felsabsatz und spürte, wie flach und hart der Untergrund war. Erst da bemerkte ich, dass ich auf einer dick mit Moos bewachsenen Straße stand.
    »Hallo?«, fragte eine Stimme. »Hallo?«
    Ich wirbelte herum, um zu sehen, wo sie herkam, die Männerstimme weckte von Neuem alle Ängste in mir. Mir fielen die Geschichten über den Wald ein, über Banden von Abtrünnigen, die hier draußen hausten und auf Bäumen lebten. Mein
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