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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Autoren: Anna Carey
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Gänsemarsch auf die andere Seite folgen; Dort, in dem wuchtigen Gebäude, würden wir unsere Berufe erlernen. Ich hatte so viele Jahre mit Lernen zugebracht, mein Latein vervollkommnet, meinen Schreibstil, meine Malerei. Ich hatte Stunden am Klavier zugebracht, Mozart und Beethoven geübt, immer das Gebäude am anderen Ufer vor Augen – das endgültige Ziel.
    Sophia, die vor drei Jahren die Abschiedsrede hielt, hatte auf demselben Podium gestanden und ihre Rede über unsere große Verantwortung als zukünftige Elite des Neuen Amerika gehalten. Sie hatte darüber gesprochen, dass sie Ärztin werden wollte, um künftige Epidemien zu verhindern. Mittlerweile rettete sie vielleicht schon Leben in der Hauptstadt des Königs. Angeblich hatte er die Stadt aus Sand in einer Wüste erbaut und so an einem Ort, wo vorher nichts war, etwas Neues erschaffen. Ich konnte es nicht erwarten, dorthin zu gehen. Ich wollte als Künstlerin leben, Porträts wie Frida Kahlo oder Wandmalereien im Stil der verträumten Landschaften Magrittes auf die hohen Stadtmauern malen.
    Lehrerin Florence legte mir die Hand auf den Rücken. »Du verkörperst das Neue Amerika, Eve – Intelligenz, harte Arbeit und Schönheit. Wir sind so stolz auf dich.«
    Die Band stimmte ein lebhafteres Lied an und Ruby schmetterte den Text mit. Die Mädchen auf dem Rasen lachten und tanzten und wirbelten einander herum, bis ihnen schwindlig wurde.
    »Komm schon, iss noch etwas.« Schulleiterin Burns drängte Violet, ein kleineres Mädchen mit schwarzen, mandelförmigen Augen, zum Buffet.
    »Wo liegt ihr Problem?«, fragte Pip und ließ sich neben mir nieder. Sie nahm die Medaille in die Hand, um sie näher zu betrachten.
    »Du weißt doch, wie die Schulleiterin ist«, setzte ich an und wollte Pip daran erinnern, dass unsere älteste Lehrerin fünfundsiebzig und arthritisch war und dass sie – als die Epidemie vor zwölf Jahren zu Ende gegangen war – ihre gesamte Familie verloren hatte. Doch Pip schüttelte den Kopf.
    »Die Schulleiterin meine ich gar nicht – sondern sie. «
    Arden war die einzige Zwölftklässlerin, die nicht feierte. Sie stand mit verschränkten Armen an die Mauer des Wohnheims gelehnt. Selbst schmollend und in dem unattraktiven grauen Pullover, auf dessen Vorderseite das Wappen der Neuen Amerikanischen Monarchie genäht war, sah sie wunderschön aus. Während die meisten Mädchen der Schule ihr Haar lang trugen, hatte sie ihre schwarze Mähne zu einem kurzen Bob gestutzt, der ihre helle Haut noch heller wirken ließ. In ihren haselnussbraunen Augen funkelten Goldsprenkel. »Sie führt irgendwas im Schilde, ich weiß es«, erklärte ich Pip und ließ Arden nicht aus den Augen. »Tut sie doch ständig.«
    Pip fuhr mit den Fingern über das glatte Medaillon. »Jemand hat sie über den See schwimmen sehen …«, flüsterte sie.
    »Schwimmen? Das glaub ich nicht.« Keiner in der Schule konnte schwimmen. Man hatte es uns nie beigebracht.
    Pip zuckte mit den Schultern. »Bei ihr weiß man nie.« Arden war immer anders gewesen, denn während die meisten der Zwölftklässlerinnen nach dem Ende der Epidemie im Alter von fünf an die Schule gekommen waren, stieß sie erst mit acht dazu. Ihre Eltern hatten sie der Obhut der Schule übergeben, bis sie sich in der Stadt etablieren konnten. Mit Vorliebe rieb sie den anderen Schülerinnen unter die Nase, dass sie keine Waise war. Nach ihrer Berufsausbildung würde sie zu ihren Eltern in die neue Wohnung ziehen. Sie würde nie in ihrem Leben arbeiten müssen.
    Pip sah darin die Erklärung für Ardens Charakter: Weil sie Eltern hatte, fürchtete sie sich nicht davor, aus der Schule geworfen zu werden. Meist zeigte sich ihre Aufsässigkeit nur in harmlosen Streichen – sie warf einem verfaulte Feigen in den Haferbrei oder legte eine tote Maus ins Waschbecken, komplett mit einer Hochfrisur aus weißer Zahncreme. Doch bei anderen Gelegenheiten war sie richtig gemein, sogar grausam. Einmal, als Ruby sie wegen einer schlechten Note in der Prüfung über die Gefahren, die von Jungen und Männern ausgingen, auslachte, hatte Arden Rubys langen schwarzen Pferdeschwanz abgeschnitten.
    In den letzten paar Monaten war Arden allerdings merkwürdig still gewesen. Sie erschien als Letzte zu den Mahlzeiten und ging als Erste, und sie blieb immer für sich. Ich hatte zunehmend den Verdacht, dass sie für die Abschlussveranstaltung am nächsten Tag ihren bisher größten Streich plante.
    Plötzlich drehte sich Arden abrupt um
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