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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Autoren: Anna Carey
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Hoffnung, eine Leichtigkeit, die jede Bewegung einfacher machte. An der Hauswand fand ich neben einem verrosteten Wasserhahn einen Eimer, ich drehte ihn um und stellte mich darauf, dann zog ich mich hoch, um besser sehen zu können. Dort drinnen lag meine Zukunft und als ich nach dem Fenstersims griff, wollte ich, dass es die Zukunft war, die ich mir erträumt hatte, nicht die, vor der Arden davongelaufen war. Ich betete, dass ich einen Saal voller Mädchen in ihren Betten sehen würde, dass an den Wänden Ölbilder von wilden Hunden hängen würden, die über die Prärie jagten. Ich betete um Zeichentische, die mit Entwürfen bedeckt wären, und um Bücherstapel auf jedem Nachttisch. Ich betete, dass ich mich nicht täuschte, dass ich morgen meinen Abschluss machen würde und dass die Zukunft, die ich mir vorgestellt hatte, sich wie ein Blütenkelch in der Morgensonne vor mir öffnen würde.
    Meine Hände umklammerten das Fenstersims, als ich mich höher zog. Ich presste die Nase gegen die Fensterscheibe.
    Dort, auf der anderen Seite, lag ein Mädchen in einem schmalen Bett, ihr Unterleib war mit einem blutverschmierten Verband bedeckt. Ihre blonden Haare waren verfilzt, ihre Arme mit Ledergurten festgebunden. Neben ihr lag ein anderes Mädchen mit einem monströsen Bauch, die straff gespannte Haut war von blauen Venen durchzogen. Plötzlich öffnete das Mädchen ihre leuchtend grünen Augen und starrte mich für einen Moment an, dann entgleiste ihr Blick. Das war Sophia. Sophia, die vor drei Jahren in ihrer Abschiedsrede darüber gesprochen hatte, dass sie Ärztin werden würde.
    Ich presste meinen Mund auf das steinerne Fenstersims, um nicht laut aufzuschreien.
    Dort drinnen lagen Mädchen auf einer Reihe Feldbetten, die meisten hatten unter den weißen Laken riesige Bäuche. Ein paar trugen Bandagen um die Mitte. Eine hatte wulstige dunkelrosa Narben auf der Seite. Gegenüber wand sich ein Mädchen in Schmerzen und versuchte, ihre Handgelenke freizubekommen. Ihr Mund stand offen, sie schrie etwas, das ich durch das Glas nicht hören konnte.
    Durch eine Seitentür betraten Schwestern den langen fabrikähnlichen Saal. Dr. Hertz folgte ihnen, ihr drahtiges graues Haar war unverkennbar. Sie war diejenige, die die Rezepte für unsere täglichen Vitamine ausstellte und die jeden Monat unseren Gesundheitszustand überprüfte. Sie war diejenige, die uns auf der Untersuchungsliege mit kalten Instrumenten traktierte, niemals auf unsere Fragen antwortete, grundsätzlich unserem Blick auswich.
    Als die Ärztin näher kam und ihr die Hand auf die Stirn legte, warf das Mädchen den Kopf hin und her. Das Mädchen hörte nicht auf zu schreien, ein paar schlafende Patientinnen erwachten von ihrem Kreischen. Sie zerrten an ihren Gurten, riefen nach den Schwestern, ihre schwachen Klagen waren hier draußen kaum zu hören. Plötzlich stach die Ärztin mit einer schnellen Bewegung eine Nadel in den Arm des Mädchens, das daraufhin erschreckend still wurde. Dr. Hertz hielt die Nadel in die Höhe – als Warnung – und das Geschrei der anderen verstummte.
    Ich konnte mich nicht länger an der Fensterbank festhalten, und als der Eimer unter mir wegrutschte, fiel ich nach hinten. Ich rollte mich auf dem harten Boden zusammen, denn ich hatte das Gefühl zu ersticken. Mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Die Injektionen, die Dr. Hertz verabreichte – die uns Übelkeit verursachten und uns reizbar und elend machten. Dass Schulleiterin Burns mir das Haar tätschelte, wenn ich meine Vitamine schluckte. Der ausdruckslose Blick von Lehrerin Agnes, als ich ihr von meiner Zukunft als Wandmalerin vorschwärmte.
    Es würde keinen Beruf geben, keine Stadt, kein Apartment mit Riesenbett und einem Fenster mit Blick auf die Straße. Keine Abendessen in Restaurants mit blank poliertem Silber und gestärkter weißer Tischwäsche. Es würde bloß diesen Saal geben, den ekelerregenden Gestank alter Bettpfannen, bis zum Platzen gespannte Haut. Babys, die aus meinem Leib geschnitten, mir entrissen und irgendwo jenseits dieser Mauern hingebracht würden. Ich würde schreiend, blutend und allein zurückbleiben und wieder in einen von Drogen hervorgerufenen Schlaf sinken.
    Schließlich rappelte ich mich auf und ging zum Ufer zurück. Die Nacht war jetzt dunkler, die Luft kälter und der See viel breiter und tiefer als zuvor. Trotzdem konnte ich nicht zurücksehen. Ich musste weg von diesem Gebäude, dem Saal, den Mädchen mit den toten Augen.
    Ich musste
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