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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Autoren: Francesca Melandri
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oder Hannover, der nun gerade an mir vorüberging. Angelächelt habe ich ihn nicht, aber ein klein wenig mit den Augen gezwinkert, wie man es von dreizehnjährigen Models kennt, wenn sie ihren Blick eindringlicher wirken lassen wollen. Dann zog ich die Tür zu, und Carlo ließ den Motor an.
    Ich bin nicht schön. Attraktiv schon, aber nichts Besonderes, und blonde Frauen, die ein wenig größer sind als der Durchschnitt, gibt es zuhauf.
    Und jung bin ich auch nicht mehr. Wenn ich mich so umschaue, sehe ich sehr viele junge, attraktive Mädchen, deren Mutter ich sein könnte, mit knackigeren Körpern, glatteren Gesichtern und einer Ausstrahlung von Unschuld, die Wünsche weckt. Und doch schauen mir die Männer immer noch nach. Meine Mutter hat mir ihre Gesichtszüge vermacht, aber nur in einer oberflächlichen Version. Ihre hohen Wangenknochen, wie die einer russischen Adligen, sehen bei mir etwas gröber aus. Ihre vollen Lippen wirken bei ihr elegant, bei mir strahlen sie etwas Bäuerisches aus, etwas von frisch gemolkener Milch, Butter aus dem Fass. Ich habe ebenso schlanke Beine und volle Brüste wie sie, ihre Figur einer Nordeuropäerin, aber die Haltung – kein Vergleich. Gerda Huber hat ihr ganzes Leben an Herd und Schneidbrettern zugebracht, während ich Armani trage und mondäne Events organisiere. Und dennoch: Wer von uns beiden wie eine Königin wirkt, das ist sie.
    Zwischen dem Münchner Flughafen und meinem Zuhause liegen drei Stunden Autofahrt und zwei Grenzen. Als junges Mädchen fand ich sie aufregend, diese doppelte Grenze gleich hinter der Haustür, denn so fühlte ich mich der weiten Welt, dem Neuen und Unbekannten nahe. Das war noch zu einer Zeit, als Schengen nicht mehr als ein Städtchen in Luxemburg war, von dem kaum jemand gehört hatte, und die europäischen Grenzen noch von Schlagbäumen und uniformierten Beamten mit strengen Mienen gesichert wurden, von Leuten, die keinen Spaß verstanden und einen zurückschicken oder gar festnehmen konnten. Der Brennerpass als Grenzstation passte da gut ins Bild: düster, be drückend, mit einem höhlenartigen Bahnhof wie aus einem Agen tenthriller. Heute sind die Gefühle jener Zeit längst vergessen. Wenn man jetzt das enge Tor passiert, das Nordeuropa von Italien trennt, werden noch nicht einmal die Wagenpapiere kontrolliert.
    Na ja, fast vergessen … Nach Sterzing/Vipiteno, kurz vor Fran zensfeste/Fortezza ist Carlo an der Autobahnraststätt e / Autogrill rausgefahren, und wir haben ein belegtes Brötche n / panino gegessen. Als wir dann später die Autobah n / autostrada verließen, haben wir an der Mautstelle / casello bezahlen müssen. Das Ganze in seinem Volvo, der aus Schweden kommt, sodass hier zum Glück nichts zu übersetzen ist, weder ins Italienische noch ins Deutsche. Herzlich willkommen in Südtirol / Alto Adige , dem Reich der Zweisprachigkeit.
    Hinter der Autobahn öffnete sich uns ein weites, helles Tal, das sogar jetzt noch freundlich wirkt, obwohl das erste Tauwetter die der Sonne zugewandten Bergrücken hat schlammig werden lassen und die noch verschneiten Almen bereits braune Flecken aufweisen. Auf den Hängen ringsum bilden Lärchen, Tannen und Birken dichte Wälder. Diese undurchdringliche Natur rahmt die von Arbeit geprägte Zivilisation gleichsam ein – die Höfe inmitten der weiten Wiesen und Weiden, die Brücken über den noch reißenden Fluss, die Kirchen mit den Zwiebeltürmen. Dies ist das Tal, in dem ich zur Welt gekommen bin.
    Carlo hat mich nach Hause gefahren. Wir haben miteinander geschlafen, auf die übliche Weise, mit den üblichen Abläufen. Elf Jahre Geheimniskrämerei haben den Vorteil, dass sich die Sexualität zwar wie in einer Ehe in eingespielten, vertrauten Bahnen bewegt, aber nicht zu einem selbstverständlichen Anspruch oder einer Pflicht entwickelt hat. Eben diese Mischung aus Gewohnheit und Unberechenbarkeit ist es, die mir entgegenkommt. Danach glätten sich die beiden waagerechten Linien zwischen Carlos Augenbrauen, nehmen weniger Schatten auf. Zum ersten Mal aufgefallen ist mir das schon vor elf Jahren, auf eben diesem Bett, und seitdem sehe ich es jedes Mal. Das ist genau die Macht, die ich über ihn habe, denke ich dann: Ich bin die Frau, die seine Stirn glättet, seine persönliche Faltencreme. Eigentlich ein tröstlicher Gedanke, denn je älter er wird, desto mehr wird er mich brauchen.
    Einander im Arm haltend, haben wir unter den Leintüchern gelegen. Weiß sind sie: Ich könnte es nicht
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