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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Autoren: Francesca Melandri
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Getränkeservice im Flugzeug hatte ganz seinen Vorstellungen entsprochen. Als Carlo ihn an meiner Seite erblickte, hob er seine schönen dunklen Augen zum Himmel, als rufe er ihn zum Zeugen an für die Geduld, die von einem Mann verlangt wird, der mit einer Frau wie mir zusammen ist.
    Bei dem Amerikaner dauerte es dagegen eine ganze Weile, bis er begriffen hatte, dass dieser Fremde, der dort stand, mich abholen wollte. Vielleicht hätte ich vorher doch etwas davon erwähnen sollen. Jedenfalls war sein Lächeln urplötzlich verflogen. Es war ihm anzusehen, wie die Illusionen, die er sich hinsichtlich meiner Person gemacht hatte, dahinschmolzen wie Eis in einem zu lange in der Hand gehaltenen Whiskyglas. Sein Blick wurde noch glasiger, fast tränenfeucht, während er Carlo anstarrte, der ihm seinerseits jetzt ohne eine Spur von Überraschung oder Verlegenheit die Hand schüttelte, sich für die Umstände mit meinen Koffern bedankte und mich dann von ihm wegfegte, mit einer schwungvollen Drehung seiner breiten Schultern, die mir immer noch so gut gefallen.
    Während ich in seinem Arm davonging, drehte ich mich noch einmal zu dem Amerikaner um, schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, wedelte mit den Fingern einer Hand und zwitscherte:
    »See you later, Jack!«
    Völlig verdattert stand Jack Radcliffe aus Bridgeport, Connecticut, mit seinem Kofferkuli im Foyer der Ankunftshalle, aus dem Tritt gebracht mehr noch durch die Fassungslosigkeit als durch die Enttäuschung.
    »Der Ärmste …«, brummte Carlo, während er mir einen Kuss auf die Haare gab. Kein Vorwurf, nur eine Feststellung.
    »Nein, wieso, ein netter Herr …«
    »Evas nette Herren«, seufzte Carlo. »Eine ganz spezielle Ka- tegorie …«
    »Er war wirklich nett. Ich durfte mich den ganzen Flug über an seiner Schulter ausruhen.«
    »Und wie hat er sich beschäftigt die neun Stunden über, mit deiner süßen Last am Leib?«
    »Er hat mir die Decke aufgehoben, wenn sie runtergefallen war, und mir bei ein paar hochprozentigen Drinks von seiner unglücklichen Ehe erzählt.«
    »Ach, stimmt, die genaue Bezeichnung der Kategorie lautet: ›Die netten Herren, die Eva von ihren unglücklichen Ehen berichten.‹«
    Carlo hat mich fest gedrückt, liebevoll, männlich, von dem unschönen Gedanken, selbst auch zu dieser niederen Kategorie zu zählen, noch nicht einmal gestreift. Und natürlich gehört er auch nicht dazu, ganz und gar nicht. Von seiner Ehe erzählt mir Carlo gar nichts und gibt mir so auch nie die Gelegenheit zu beurteilen, wie glücklich oder unglücklich sie ist. Nicht dass mich das interessieren würde, nebenbei bemerkt.
    Er hat den Gepäckwagen zu seinem Auto geschoben und meine Sachen eingeladen, ein dreiteiliges Kofferset, dunkelblau, frisch in New York gekauft: Trolley, Reisetasche und Beauty-case, schon beeindruckend, wie durchdacht die Fächer aufgeteilt sind. Meiner Mutter würde das Set gefallen. Tatsächlich habe ich beim Kauf auch gedacht: Das ist eine Farbe, die ihr besser steht als mir, vielleicht bringe ich ihr die Teile übermorgen zum Osterfestessen mit. So stand ich also da, mit der Notebooktasche über der Schulter – die gebe ich nie aus der Hand, an niemanden – und sah Carlo zu.
    Ich mag es, wenn ein Mann für mich körperliche Arbeit ver richtet, die Muskelkraft erfordert. Koffer anheben und in den Wagen wuchten zum Beispiel. Ich genoss den Moment und wandte schließlich den Blick von Carlo ab, damit er nicht dachte, ich wolle ihm Beine machen. Auf dem Gehweg kam mir ein Mann entgegen, der auf ein Taxi zuhielt, ein wenig jünger als ich, in einem neuen stahlgrauen Nadelstreifenanzug, dem Hand koffer nach ein Geschäftsmann, der zu einem Termin flog. Ein Deutscher, aber nicht aus Bayern, eher aus Norddeutschland, Hamburg vielleicht oder Hannover. Als sich unsere Blicke kreuzten, weiteten sich seine Pupillen, und sein Gesicht verzog sich zu der Miene, die ich lange schon von Männern kenne, denen ich in die Augen schaue, jener unverwechselbaren Mischung aus Gier und Sehnsucht. Das Verlangen lässt sie kühn werden, aber auch verwundbar, und macht mich zur Hüterin eines Geheimnis ses. Jedenfalls wird ihre Mutter diesen Blick noch nie bei ihnen gesehen haben – das ist zumindest zu hoffen.
    Mit einem dumpfen Schlag knallte Carlo den Kofferraum zu und setzte sich dann ans Steuer. Ich öffnete die Beifahrertür, und während ich Platz nahm und die Beine übereinanderschlug, hob ich wieder den Blick zu dem Geschäftsmann aus Hamburg
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