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Eva Indra

Eva Indra

Titel: Eva Indra
Autoren: Bis aufs Blut
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Unruhe unberührt. Anna jedoch steigerte sich mit jedem Schlag in eine derartige Hysterie, dass ihr dabei förmlich übel wurde. Ablenkung! Sie brauchte Ablenkung! Missmutig blickte sie um sich und ihr wirrer Blick blieb schließlich auf dem kleinen Geschäft neben dem Postamt hängen, auf dem in großen Buchstaben Tabbaceria stand. Anna nahm ihre beiden Taschen auf und schritt entschlossen auf dieses Geschäft zu, dabei immer wieder zum Bahnsteig zurückschauend, ob nicht doch gerade jetzt ein Zug einfuhr.
    Eine dicke Verkäuferin stand hinter dem Schalter und tratschte mit einem älteren Mann. Sie hatte nur kurz aufgeblickt, als Anna das Geschäft betrat, nicht einmal gegrüßt hatte sie .Sie war wohl viel zu sehr mit dem Mann in den neuesten Klatsch und die dörfliche Gerüchteküche verwickelt. Anna kam das gelegen, denn sie wollte so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich erwecken. Da sie aber eigentlich nicht wusste, weshalb sie dieses Geschäft überhaupt betreten hatte, stand sie nun hilflos inmitten des Ladens herum und machte sich selbst zum Blickfang. Um nicht mehr als nötig aufzufallen, trat sie vor das reich bestückte Zeitschriftenregal und begutachtete mit wenig Interesse das Angebot. Erfreulicherweise war dieses Regal nicht sehr hoch .Es ermöglichte ihr darüber hinweg zu blicken, um einen einfahrenden Zug in die Station nicht zu versäumen. Immer noch stand Anna unentschlossen vor dem Regal, bis ihr ein brauner, gepolsterter Umschlag im untersten Fach ins Auge stach und sie auf eine Idee brachte. Begierig nahm Anna den Umschlag auf und drehte ihn um. 1.90 Euro zeigte das Preisetikett. Flink klemmte Anna das Kuvert unter ihren rechten Arm, um sogleich fieberhaft in ihrer Handtasche nach der Geldbörse zu kramen. Einen 5.000 Lire- Schein und ein paar Münzen waren auch schon alles, was sie fand. Entmutigt verwarf sie ihre Idee, Umschlag und Briefmarken zu kaufen, um damit das Buch an einen anderen Ort zu versenden. Ihr Geld reichte nicht für beides. Aber warum eigentlich für beides?, fragte sie sich selbst. Hatte sie den Umschlag nicht schon in der Hand? Die Verkäuferin war immer noch im Gespräch und wenn man eben erst einen Mord begangen hatte, kam es auf einen kleinen Ladendiebstahl auch nicht mehr an. Mit einer schnellen Handbewegung zwängte sie den weichen Umschlag in ihre Handtasche, schloss den Zippverschluss und schritt so unbefangen wie nur möglich auf die Theke zu.
    „Vorrei dei francobolli da Austria, per favore“, sagte sie und legte ihr ganzes Guthaben auf den Tisch. Sie wusste nicht, wie viele Briefmarken sie benötigen würde, daher kaufte sie besser so viele Marken wie möglich, um relativ sicher zu gehen. Die Verkäuferin, immer noch mit dem Manne redend, wirkte etwas überfordert mit der Bestellung, händigte ihr aber dennoch vier Marken aus und ließ zwei Münzen auf dem Tisch liegen, ohne ihre Konversation zu unterbrechen.
    „Grazie!“, bedankte sich Anna und verließ eilends den Laden. Die Ladeninhaberin hatte den Diebstahl des Kuverts nicht bemerkt. Nur Anna wusste zu diesem Zeitpunkt, dass dies der zweite kriminelle Akt des Tages war und dass es immer dringender wurde, Lecce zu verlassen.
    Zurück auf dem Bahnsteig stellte sie fest, dass sie nicht viel versäumt hatte. Neugierig blickte sie auf die beiden Gleisanlagen, aber da flimmerten nur die leeren Schienenstränge in der Schwüle. Anna entschloss sich, die verbleibende Zeit dafür zu nutzen, das Buch los zu werden. Aber der einsichtbare Bahnsteig schien nicht die richtige Lokalität. Trotz ihrer Kurzsichtigkeit, sie konnte kein einziges Schild klar lesen, fand sie instinktiv die öffentlichen Toilettenanlagen. Vielleicht war es eher ihr
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Eva Indra Bis aufs Blut
    ausgeprägter Geruchssinn, der sie dorthin gesteuert hatte; denn als sie die weiße Schwingtüre der Damentoilette öffnete, kam ihr ein penetranter Uringeruch entgegen. Sie trat in einen Raum, den man am liebsten unverzüglich wieder verlassen hätte, so aufdringlich stank es darin. Doch der Umstand, dass niemand zu sehen war, ließ sie verweilen. Nichtsdestotrotz hielt sie es für ratsam, sich in einer Kabine einzuschließen. Es gelang ihr den Atem anzuhalten, um diesem widerlichen Geruch zu entgehen. Als sie aber diesen engen Raum betrat, stockte sie und atmete heftig aus, denn in der Toilette, in der sie sich nun befand, gab es gar keine wirkliche Toilette: In dem Boden war lediglich ein weißes Bassin mit einem großen Loch in der Mitte eingelassen.
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