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Esper unter uns

Esper unter uns

Titel: Esper unter uns
Autoren: Dan Morgan
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behaupten, daß Sie noch nichts von den neuen Wohlfahrtszentren gehört haben?«
    »Ich glaube, es war etwas in den Nachrichten, aber ich habe nicht weiter darauf geachtet.«
    »Das brauchen Sie in Ihrer Position auch nicht.«
    Victor spürte den Vorwurf und wußte, daß er berechtigt war. Er war nicht besser als die anderen Anglos, die es sich leichtmachten und ignorierten, was um sie vorging, oder die Donleavys Methoden entschuldigten, weil seine Regierung ja auch Gutes geleistet hatte.
    »Die Wohlfahrtszentren sind angeblich Teil der neuen Sparmaßnahmen der Regierung«, erklärte Sam. »Es funktioniert folgendermaßen: wenn der Haushaltsvorstand einer Immigrantenfamilie länger als drei Monate hintereinander arbeitslos ist, wird er automatisch reklassifiziert. Das bedeutet, daß er und seine Familie in die Wohlfahrtszentren eingewiesen werden, wo man ihnen Unterkunft und Verköstigung gewährt, bis man ihm einen Job zuteilen kann. Die Regierung behauptet, das sei billiger, als die Familien in ihren eigenen Wohnungen zu lassen und ihnen Arbeitslosen- und nationale Unterstützung auszuzahlen. Klingt ganz vernünftig, nicht wahr? – wenn man bereit ist, Menschen als Vieh zu betrachten, das man ganz einfach auf die Weide treibt, ohne sich um ihre Interessen zu kümmern. Wenn man tiefer blickt, wird es noch schlimmer. Die Immigrantengewerkschaft konnte keine Garantie bekommen, daß die Familien nicht aufgeteilt werden. Die Gerüchte sind leider nur allzu glaubhaft, daß die Zentren nach Geschlechtern belegt werden – zur verwaltungstechnischen Vereinfachung! Es kann also ohne weiteres dazu kommen, daß der Vater in ein Zentrum in Schottland geschickt wird, während seine Frau und die Kinder Hunderte von Kilometern entfernt, beispielsweise in Devon landen. Und mit der Arbeitslosensituation, wie sie ist, glauben Sie, da besteht überhaupt noch eine große Chance, je wieder aus den Zentren herauszukommen? Und sagen Sie nicht, Donleavy hätte das nicht genau durchdacht. Erinnern Sie sich, wie dieser andere Faschistenführer sein ›Immigrantenproblem‹ vor etwa fünfzig Jahren löste?«
    In seiner Erregung vergaß Victor seinen Psischirm aufrechtzuerhalten und nahm so unabsichtlich die vorherrschenden Bilder in Sams Geist auf. Er sah ein mit Stacheldraht umzäuntes Lager mit Wachtürmen und ausgemergelte Menschen, die in Gaskammern getrieben wurden. »Großer Gott!« rief er. »Nein, Sam! Nicht einmal Donleavy würde das tun!«
    Sams Gesicht wirkte wie aus Mahagoni geschnitten. »Ich bin überzeugt davon!«
    »Deshalb wollen Sie die Repatriierungshilfe in Anspruch nehmen?«
    »Meinen Sie, ich soll hierbleiben und kämpfen? Das ist etwas für junge Tiger wie Cass. Sie können sich auflehnen und vielleicht die Köpfe abhacken lassen, um dann als Märtyrer zu gelten. Aber ich habe sieben Kinder im Schulalter und darunter. Denken Sie, ich kann es mir leisten, das Risiko einzugehen, daß sie alle in einem Anglokonzentrationslager enden?«
    »Soweit wird es nie kommen, Sam!« protestierte Victor. »Sie glauben doch nicht wirklich, daß der anständige Durchschnittsbürger einfach abseits stehen und zusehen würde, wenn die Regierung sich solcher Methoden bedient?«
    »Was ich über die damalige Zeit in Deutschland las, wußte keiner der anständigen Durchschnittsbürger etwas über Belsen und Auschwitz, und doch fanden Millionen in den KZs ihr Ende.«
    »Was sagt Flower zu all dem?«
    »Sie ist noch jung genug, um an Wunder zu glauben. Sie meint, ich sollte noch eine Weile abwarten.«
    »Und warum tun Sie es nicht?«
    »Das Repatriierungsgesetz kann jeden Tag aufgehoben werden. Und dann …«
    »Warten Sie noch drei Monate«, beschwor ihn Victor. »Vielleicht gibt es …« Ein plötzliches Schuldgefühl ließ ihn verstummen. Er hatte kein Recht, eine möglicherweise folgenschwere Verzögerung vorzuschlagen. Wenn er ehrlich mit sich war, mußte er zugeben, daß er Sam weder Hilfe noch Trost versprechen konnte. Und gerade das bohrte in ihm, denn er war überzeugt, daß das Bild sich schnell ändern könnte, würde der Verband eingreifen. Doch das würde nicht geschehen. Selbst ohne Becky und den Rest des Rates darum zu bitten, wußte er, daß die Antwort die gleiche wie in so vielen Fällen sein würde, die nicht direkt etwas mit den unmittelbaren Interessen des Verbands zu tun hatten. Die Zeit ist noch nicht reif. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber Generationen noch ungeborener Psimenschen …
    Sam blickte ihn fragend
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