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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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Reiter im Dorf aufgetaucht ist und mich angesehen hat. Was konnte der arme Junge dafür? Er musste für etwas büßen, das nicht seine Schuld gewesen ist. Du bist schuld, dass er es nicht leicht haben wird, bis zum Ende seines Lebens; Menschen sind nämlich wie Bäume und Tiere, sagt Sahra. Nur wenn man sie am Anfang hegt und pflegt, werden sie später kräftig und haben einen Nutzen für sich und die Welt.
    Auf dem Weg zurück ins Dorf bedauert Sahra, dass ihr Mann nicht zu einer Zeit gestorben ist, als das Wasser noch geflossen ist. Denn damals hätten die anderen Bauern sie nach der Feldarbeit, dem Tieremelken, dem Säen, Ernten und Bündeln in ihrer Hütte aufgesucht, damit sie nicht allein wäre. Weil sie jetzt ohne Ernährer ist, hätten sie ihr Brot und Honig, Joghurt, Aprikosen, Milch mitgebracht und mit ihr Tee mit Rosinen getrunken, um den bitteren Geschmack des Todes und des Schmerzes mit etwas Süßem zu verscheuchen. Die Frauen hätten Sahra die Hand gehalten, ihr den Schmerz aus dem Rücken gestrichen, damit sie am vierzigsten Tag nach dem Tod ihres Mannes leichter über den Verlust hinwegkommt. Heute aber hat niemand mehr Arbeit und nichts zum Mitbringen, und es gibt auch keine Tiere mehr, weil der Arbab sie bis auf einen kümmerlichen Rest, der verdurstet und verhungert ist, längst hat abholen lassen.
    Sahra ist so sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie nicht aufpasst, mit dem Fuß rutscht und in einem Spalt in der rissigen Erde stecken bleibt. Sie zieht und zerrt, macht es nur noch schlimmer, verdreht den Fuß so sehr, dass sie sich vor Schmerzen kaum noch rühren kann.
    Das ist die gerechte Strafe Gottes für die Gemeinheiten gegen mei nen toten Mann, schimpft sie und reibt ihr schmerzendes Bein, als plötzlich wie aus dem Nichts ein fremder Mann vor Sahra auftaucht. Das heißt, eigentlich ist er nicht fremd, und Sahra erkennt ihn sofort. Es ist genau jener Reiter, Hodjat, von dem sie gerade noch zu ihrem toten Mann gesprochen hat.
    Mit einem Fuß gefangen, steht Sahra vor ihm und weiß, wie erbärmlich sie aussieht. Auf ihren Knochen ist kein Fleisch, ihre Haut ist zerfurcht und aufgerissen wie der Boden ihrer Heimat, ihre Augen haben ihren Glanz verloren, und ihre Zöpfe, die früher wie schwarzes Pech geglänzt haben, sind voller Staub und Schmutz. Von Kopf bis Fuß ist sie mit einer Staubschicht überzogen; sogar die Farben der gestickten Blumen in ihrem Kleid sind verblasst.
    Sahra wünscht sich, der Spalt wäre breit genug, um ganz darin zu verschwinden und dem Reiter ihren hässlichen Anblick zu ersparen. Der versucht nicht einmal, seinen Ekel zu verbergen, und nichts in seinem Blick erinnert an damals, als sie das Gefühl gehabt hat, seine Finger würden über ihre Haut gleiten. Überallhin. Auch dahin, wo nur ihr Habiballah sie berührt hatte. Ihr Gesicht, ihre Beine und Arme, ihren Hals und ihre Brüste, ihren Bauch und ihren Schoß. Sahra erinnert sich, wie ihre Brüste unter dem Kleid fest geworden sind und sie sich vor dem unbekannten Verlangen und den Bildern in ihrem Kopf gefürchtet hatte. Es sind Bilder gewesen, von denen sie nicht einmal geahnt hat, dass sie sie in sich trägt. Sie hat sich und ihn nackt gesehen. Er hat sie in die Arme genommen. Sie hat den Kopf an seine Schulter gelegt und sich ihm hingegeben. Sahra hat sich auf die Lippe gebissen, hat ihre Finger in die Schenkel gekrallt, aber sosehr sie auch versucht hat, die sündigen Bilder loszuwerden, sie sind geblieben, und Sahra wusste, sie würde ihre Schuld büßen müssen.
    Hodjat hat Sahra in die Augen gesehen und sich die Lippen geleckt, er hat seinen dichten schwarzen Bart glatt gestrichen, sie angelächelt und ihr den Kopf verdreht. Vor den Augen ihres Mannes, der Mutter, dem Vater und den Ältesten ist ihr Gesicht rot angelaufen, sie ist aufgesprungen und davongerannt, den Bach entlang bis zum Ende des Dorfes. Hinter der letzten Mauer ist sie in den Bach gestiegen, um sich abzukühlen. Sie hat sich das Gesicht und den Hals gewaschen. Das kalte Wasser ist in ihr Kleid gelaufen, über ihren Busen hinab zum Bauch und noch tiefer zwischen die Beine, und es hat ihr gefallen. Sahra hat sich geschämt, aber das Verlangen nach ihrem Reiter war so groß, dass sie mit triefnassem Rock und feuchten Ärmeln zurück zum Platz unter dem Baum gerannt ist und sich dem Reiter beinahe in die Arme geworfen hätte, als er ihr entgegenkam.
    Weil es die Höflichkeit gebietet, ist sie zur Seite getreten, aber er hat ihren Rock
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