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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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und genießt die Erinnerung daran, wie sie ihren Eskandar darin getragen hat. Als du in meinem Bauch warst, sind die Felder noch grün gewesen, sagt Sahra leise.
    Eskandar erinnert sich an den Bach, an die Felder, an die hohen Wiesen, in denen er sich versteckt, in den blauen Himmel gestarrt und sich in seinen Träumereien verloren hat. Erzähl mir von den Zeiten, als das Wasser noch gekommen ist, sagt Eskandar. Solange du sprichst, können wir sicher sein, dass du noch in dieser Welt und bei mir sein wirst.
    Ich will, dass du dich erinnerst, sagt Sahra. Solange du die Bilder von unserem schönen Dorf in deinem Herzen bewahrst, wird es schlagen. Weißt du noch, wie der Bach in der Mitte der Gasse geflossen ist?, fragt sie.
    Natürlich weiß ich das.
    Und weißt du noch, wie er für jedes Haus abgezweigt und durch die Öffnungen in den Lehmmauern in die Gärten und in jedes Feld geleitet wurde?
    Natürlich weiß ich das, antwortet Eskandar stolz. Und ich weiß auch, woher das Wasser gekommen ist. Eskandar schließt die Augen, streckt die Nase in die Luft und sagt, das Wasser hat die Luft gekühlt.
    Sahra lächelt. Das hat es, sagt sie.
    Erzähl weiter, sagt Eskandar.
    Das Wasser hat geplätschert und gegurgelt, als wäre es glücklich. Überall im Dorf konnte man es hören; es hat sich mit den Stimmen und dem Gesang der Frauen und Männer auf den Feldern vermischt. In den Gassen hat sich der süße Duft der Blüten gesammelt und mit dem Duft des Korns vermengt. Im ganzen Dorf hat es nach Ziegen, Kälbern, Kühen und Pferden gerochen. Damals. Sahra beißt die Zähne zusammen und kann nicht weitersprechen.
    Eskandar kennt die Geschichte seiner Mutter und weiß, wie sie zu Ende geht. Das Dorf hat nach Leben gerochen, sagt er.
    Was seine Mutter ihm nicht erzählt hat, ist, dass damals auch der Reiter in ihr Dorf und in Sahras Leben gekommen ist. Und es ist auch seine Schuld gewesen, dass ihr Ruf ruiniert und das Dorf verflucht wurde; das Wasser aufhörte zu fließen und das große Sterben begonnen hat.
    Allmächtiger, der du alles siehst, flüstert Sahra und blickt über sich, als würde Gott höchstpersönlich dort sitzen und darauf warten, dass ausgerechnet sie ihr Wort an ihn richtet. Du, der du alles zwischen Himmel und Erde erschaffen hast, verschone meinen Jungen, betet sie. Schenke ihm das Leben, das du seinem Vater und mir verwehrt hast.
    Eskandar schielt auf die Stelle über dem Kopf seiner Mutter, wo der unsichtbare Gott sitzt. Noch nie hat seine Mutter auch nur die geringste Antwort von Allah bekommen, schließlich hat er Wichtigeres zu tun, als ausgerechnet jemandem wie ihr zuzuhören, geschweige denn zu antworten. Aber jetzt bekommt er es doch mit der Angst zu tun, denn seine Mutter verdreht die Augen, schnappt nach Luft und sieht aus, als würde der Herrgott ihre Seele zu sich holen.
    Eskandar stampft auf und sagt das Wort, von dem er weiß, dass es seine Mutter garantiert ins Leben zurückbringen wird: faack!

Hodjat der Reiter kommt in Eskandars Leben
     
    Nur um ihre Pflicht zu tun, legt Sahra den vierzigsten und letzten Stein auf den Haufen Erde, unter der ihr toter Mann, Habiballah, begraben liegt. Erwarte nicht auch noch, dass ich um dich weine, sagt sie und schüttelt sich, weil sie den Toten nicht waschen konnte und ihn ohne Leichentuch und auch ohne letztes Gebet in Gottes Erde betten, vielmehr schieben und hineinfallen lassen musste.
    Aber es ist nicht meine Schuld, sagt sie. Wasser und Totentücher gibt es längst nicht mehr, und von den Männern ist keiner mehr kräftig genug, um hierher zu den Gräbern zu kommen, einen Toten ordentlich ins Grab zu legen und das letzte Gebet für ihn zu sprechen.
    Sahra kennt kein richtiges Gebet, aber selbst wenn, hätte das ihrem Mann auch nichts genutzt; schließlich ist sie nur eine Frau, die an bestimmten Tagen blutet und deswegen unrein ist, najess wie Hunde, wie Schweine, najess wie jegliche Art von Unrat. So war das Einzige, was sie für ihren toten Mann tun konnte, ihm den Stofffetzen um den Kopf zu binden, damit sein Mund nicht aufklafft.
    Faack, murmelt sie unwillkürlich und muss lachen. Sie rückt zur Seite, damit ihr Schatten nicht auf ihren toten Mann fällt und es aussieht, als wollte sie ihn vor der heißen Sonne schützen. Sogar einen der vierzig Steine stößt sie mit dem Fuß vom Haufen, legt ihn aber rasch wieder zurück. Verdient hättest du es ja, sagt sie. Du hast mir und deinem Sohn das Leben zur Hölle gemacht, nur weil damals dieser
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