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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben
Autoren: Georg Haderer
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Erdbeeren züchten könnte. Ein Grundstück, groß genug, um ein Lagerfeuer zu machen, ohne dass der Funkenflug die Pieper der brandgeilen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr auslöste. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sogar ein eigenes Auto – einen alten Saab, der laut Typenschein 122 PS, dem Röhren des Motors und seinem Abzug entsprechend jedoch bestimmt 200 hatte. Was Schäfer jedes Mal, wenn er die Kupplung losließ, schmunzelnd an seinen Vorgänger denken ließ: Chefinspektor Stark, der ihm neben dem Haus in Staatsbesitz auch diesen halblegalen Bullenboliden hinterlassen hatte, als er sich gleich nach der Pensionierung nach Barbados abgesetzt hatte.

4.
    „Was macht die Katze mit dem Raben?“, fragte Bergmann perplex, als Schäfer in den Garten zurückkam.
    „Das geht schon seit ein paar Wochen so.“ Schäfer stellte einen Krug mit Hollersaft sowie zwei Gläser auf den Tisch und setzte sich neben Bergmann. Ein paar Minuten betrachteten sie schweigend das seltsame Schauspiel, das die beiden Tiere aufführten: Die Katze setzte sich in die Wiese, hob den Kopf und schloss die Augen, als wäre sie ganz in Betrachtung ihres Selbst versunken. Worauf der Rabe sich hüpfend von hinten näherte und ihr in den Schwanz hackte. Daraufhin fuhr die Katze blitzartig herum, stürzte sich auf ihn und rang ihn mit den Vorderpfoten zu Boden. Wo der Vogel wie tot auf dem Rücken liegen blieb und die Krallen von sich streckte. Anschließend drehte die Katze stolz zwei Runden um den so einfach besiegten Gegner und widmete sich wieder ihrer Meditation. Dann wiederholte sich das Spektakel, allerdings mit umgekehrtem Ausgang: Der Rabe hackte der Katze im Zweikampf zweimal behutsam in die Brust, worauf sie am Rücken liegen blieb und er triumphal krächzend im Kreis um sie herumhüpfte.
    „Woher haben Sie die beiden?“, wollte Bergmann wissen.
    „Was woher?“
    „Na, Sie werden sie ja nicht selbst dressiert haben, oder?“
    „Wieso dressiert? Seit wann dressiere ich Kleintiere?“
    „Was weiß ich … vielleicht ein neues Hobby.“
    „So weit kommt’s noch.“
    „Aber … normal ist das nicht.“
    „Wenn Sie meinen …“
    Schäfer zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, wer von den beiden zuerst da gewesen war: Katze oder Rabe? Er wusste es nicht. Krähen und Raben gab es in der Gegend zuhauf. Sie saßen in den Feldern, pickten die Saat auf, bis einer ihrer Kameraden in der wütenden Schrotsalve eines Bauern zu einem Federball explodierte. Dann zogen sie sich für einen Andachts- oder Gewinn-Verlust-Rechnungs-Moment zurück, um alsbald wiederzukehren. Ein paar Einzelgänger wagten sich in die Gärten vor. Stolzierten über den Rasen, schnappten sich die Wursthäute vom letzten Grillabend, inspizierten den Komposthaufen oder freuten sich über die Mülltonne, die der Hausherr in der Hektik offen gelassen hatte, weil er fürchtete, die zweite Halbzeit könnte ohne ihn beginnen.
    Schäfer hatte einmal mit dem Jagdgewehr, das Stark zurückgelassen hatte, auf einen Raben gezielt, der in der Krone des Kirschbaums gesessen war und so schauderlich gekrächzt hatte, als wollte er Hendrix’ Woodstock-Version von Star-Spangled Banner imitieren. „Drei Sekunden hast du noch“, hatte Schäfer gemurmelt – verdammt, es war zwei Uhr morgens! Als der so Bedrohte innehielt, mit dem Schnabel kurz in seine Flügel pickte und davonflog. War es dieses einsame und lebensmüde Krähentier, das aus seiner Verzweiflung die Gesellschaft der Katze gesucht hatte? Woher sollte Schäfer das wissen – diese Viecher waren für ihn genauso wenig zu unterscheiden wie Säuglinge oder Koreaner.
    Die Katze hingegen – von ihr wusste Schäfer genau, wann sie in sein bewusstes Wahrnehmungsfeld getreten war: etwa eine Woche nach seinem Einzug. Nach dem Ausmalen der Küche, dem ein giftiges Abflämmen der alten Kunststofffarbe vorhergegangen war, sank er erschöpft auf die warmen Pflastersteine an der Außenmauer. Ein Glas Weißwein in der Hand. Viel zu warm, weil er übersehen hatte, ihn nach dem Einkaufen in den Kühlschrank zu stellen. Er nippte müde daran und erblickte zwei leuchtende Augen, die inmitten des Quittenstrauchs auftauchten. Noch ehe er sich seiner Wahrnehmung versichern konnte, waren sie verschwunden – dafür lag am nächsten Tag eine tote Maus vor der Terrassentür.
    Gleichgültig hatte er den Mäusekadaver am Schwanz gepackt, über die Hecke in den Acker geschleudert und sich einem Frühstück gewidmet.
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