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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben
Autoren: Georg Haderer
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standen wohl abstrakte Dummheiten wie: Transparenz, Bürgernähe und ähnliches Gewäsch. Kopiert von der Homepage des Innenministeriums, um den Vorgaben eines modernen Polizeiapparats auch in bautechnischer Hinsicht zu entsprechen. Entstanden war ein peinlicher Kompromiss aus Vollverglasung und altmodischer Küchendurchreiche. Wobei sich die Scheibe, die Schäfers Büro von den anderen Räumen trennte, nicht einmal öffnen ließ und damit auch keine verbale Kommunikation zuließ. Ein Ärgernis für beide Seiten: für seine Mitarbeiter, die sich zeit seiner Anwesenheit in ständiger Überwachung wähnen mussten. Und für ihn erst recht, zumal er sich wie in einem Terrarium fühlte, wie ein manisch-depressives Reptil, das sich während der Besuchszeiten keinem seiner Zustände zwanglos hingeben konnte. Und die Jalousie? Warum zog Schäfer nicht einfach die Jalousie herunter? Weil es die eben nur auf seiner Seite gab und er die Verwendung dieser Einseitigkeit als herablassend ansah. Als etwas, das ein Gefälle zwischen ihm und seinen Mitarbeitern in Szene setzte. Das Teil trug wohl nicht umsonst den französischen Namen für Eifersucht. Himmel, mit welchen Problemen man sich herumschlägt, wenn sonst nichts passiert.
    In den seltenen Stunden, in denen Schäfer sich allein am Posten befand, warf er den marillengroßen Gummiball, den er seit ein paar Wochen bei sich trug, wuchtig gegen die Scheibe, um sie mürbe zu machen und irgendwann zum Aufgeben und Zerbröseln zu zwingen. „Gib’s ihr!“, feuerte er den Ball an, „mach sie fertig!“ Wobei er nicht einmal wusste, wie das Wurfobjekt hieß, das er wie einen Glücksbringer bewahrte. Hüpfball? Nein, das waren diese Rieseneuter, auf die sich Kinder setzten und sich dabei an den Zitzen festhielten. Springball, Stressball, Wurfball? Keiner der Begriffe, die Schäfer gegoogelt hatte, um seinen Begleiter benennen zu können, brachte ein Ergebnis. Wusste überhaupt jemand, wie dieses Objekt hieß, das er im Zuge einer belanglosen Amtshandlung erstanden hatte?
    Zeit für eine Rückblende, weil immer noch nichts passierte: An einem Samstagvormittag waren Schäfer und Inspektor Plank zu einer Siedlung ein paar Kilometer außerhalb des Ortszentrums gefahren. Zu den Einfamilienhäusern, die sich gerade noch nicht Villen nennen durften, wo sich laut einer hysterischen Anruferin ein verdächtiges Subjekt herumtrieb. Selbiges stellte sich als ein ungefähr sechzigjähriger Mann heraus – vollbärtig ergraut, bloßfüßig und etwas verwahrlost –, der aus einem Altpapiercontainer Zeitungen und Magazine holte, sie auf dem Gehsteig stapelte und dabei aus sicherem Abstand von drei Frauen und einem dickleibigen Mann mit einem Wagenheber in der Hand beobachtet wurde. Harmlos, konstatierte Schäfer nach zehn Sekunden und überließ die Befragung des Mannes seinem Kollegen, während er sich an den Wagen lehnte und die Anrainer musterte. Diesen schwitzenden Fettwanst mit dem Werkzeug, den könnte er bestimmt zu einem Widerstand gegen die Staatsgewalt provozieren, überlegte er. Um sich nicht von seinen Emotionen hinreißen zu lassen, drehte er sich um und – sah ihn: einen Kaugummiautomaten. Dunkelrot mit zahlreichen Rostflecken, die Plexiglasscheibe gelöchert von den Feuerzeugen jugendlicher Tunichtgute, wie er mutmaßte. Dieses Fossil hing an einem heruntergekommenen Gebäude, einem kleinen Haus mit unverhältnismäßig großem Garten, das provozierend andeutete, dass sein Besitzer aus dem winzigen Fenster im ersten Stock schon seit langem auf die Häupter und Geldkoffer der anläutenden Immobilienmakler spuckte, die sich in der Gegend um Wochenend- oder Alterswohnsitze für wohlhabende und erschöpfte Städter umschauten.
    Der Automat war leergeräumt. Fast leergeräumt, wie Schäfer konstatierte, als er sein Gesicht an die verschmorte Front führte, als gäbe es hier noch Spuren dieses banalen Deliktes zu sichern. Doch statt Haut- oder Stofffetzen, die die Täter am Plastik zurückgelassen hatten, als sie mit langen Fingern und verdrehten Händen ins Innere des Automaten gefasst hatten, sah Schäfer in dessen Dunkel ein schwaches Glitzern wie von ein paar winzigen müden Sternen. Er griff in seine Taschen und fand kein Kleingeld. Nachdem weder sein Kollege noch das verdächtige Subjekt mit einer Fünfzig-Cent-Münze dienen konnten, ging er auf die Anrainer zu, die sich mittlerweile um zwei mit Gartenkralle und Heckenschere bewaffnete Männer verstärkt hatten.
    „Bekommen Sie
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