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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben
Autoren: Georg Haderer
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zurück, wenn Sie am Posten vorbeischauen“, sagte Schäfer zum Wagenheber-Mann, der ihm leicht verunsichert die Münze übergeben hatte. Dann ging er zum Automaten, holte ein paar Einweghandschuhe aus der Innentasche seiner Uniformjacke, streifte sie für alle Beobachter gut sichtbar über, warf die Münze ein und drehte langsam den Riegel. In seinem Rücken spürte er die neugierigen Blicke der gerechten Bürger. Ponk!, rumpelte ein Gegenstand aus dem Inneren des Automaten.
    „Beweismitteltasche!“, rief Schäfer seinem Kollegen zu, ohne sich umzudrehen. Nachdem er sie erhalten hatte, öffnete er die Klappe am Ausgabeschacht, nahm das zu sichernde Objekt heraus und ließ es mit gespreizten Fingern behutsam in das Plastiksäckchen fallen. Er ging zum Wagen zurück, forderte den alten Mann auf einzusteigen und salutierte beim Wegfahren aus dem offenen Fenster in Richtung der ratlosen Anrainer.
    „Eine kleine Lektion in Sachen Lebenserleichterung“, meinte er, nachdem sie den alten Mann im Krankenhaus abgeliefert hatten und der junge Inspektor sich offensichtlich nicht traute, nach dem rätselhaften Gegenstand zu fragen. Schäfer nahm die Beweismitteltasche, fingerte den Gummiball heraus und drehte ihn bewundernd in der rechten Hand: durchsichtig, mit türkisen und azurblauen Schlieren durchzogen, dazwischen glitzernde Metallpartikel.
    „Wenn Sie solche Deppen immer ernst nehmen, werden Sie irgendwann selber so … statt dass sie dem alten Spinner einen Tee kochen oder was zu essen geben … Faschistenschweine … die hält man auf Dauer nur aus, wenn man ein paar Kunststückchen parat hat.“
    „Aber … wie fällt Ihnen so was ein?“, fragte Plank in einer Mischung aus ein wenig Bewunderung und viel Skepsis. Nur verständlich: ein männlicher Landbewohner Anfang dreißig, der sich wegen einer Mehlallergie vom Bäcker über eine Zwischenstation als Webdesigner zum Polizisten hatte umschulen lassen. Der musste bei einem Vorgesetzten wie Schäfer – gleichwohl hochdekorierter Major – unweigerlich an Nervenheilanstalten oder die Möglichkeit außerirdischen Lebens denken.
    „Hm“, machte Schäfer, mehr fiel ihm dazu im Moment nicht ein.
    Dafür hatte er einen Hüpf-, Spring-, Spiel-, Wie-auch-immer-Ball gewonnen, den er seitdem so gut wie immer bei sich trug. Mit dem er Kunststücke einübte, wenn er sich auf der Straße unbeobachtet wähnte, indem er ihn im schrägen Winkel auf den Asphalt warf, gegen eine Hauswand prallen ließ und dann wieder auffing. Den er in seinem Büro in besagten Augenblicken gegen die verhasste Scheibe aufhetzte oder auf den Boden fallen und in seine Hand zurückschnellen ließ, was ihn nach spätestens zehn Minuten in einen Zustand gelassener Entrückung versetzte. Aus der holte ihn jetzt Revierinspektor Hornig in die Wirklichkeit zurück, der auf der anderen Seite der Scheibe eine Frau zu seinem Schreibtisch führte, sie sanft in den Besuchersessel drückte und sich selbst niederließ.
    Die Person, mit der Hornig nun zu reden begann: Schäfer kannte sie. Mindestens dreimal war sie ihm auf seinen Spaziergängen begegnet – und allein dadurch zu einer Besonderheit in einem bislang eher homogenen Umfeld geworden, dessen Bewohner kaum Wert darauf legten, frühmorgens oder am Abend in unwirtlichen Gegenden herumzustreunen. Ihre erste Begegnung hatte rein akustisch begonnen. Schäfer war durch den Wald geschlendert und vor einem Ahorn stehen geblieben, den er aufgrund der Dicke des Stammes auf mindestens dreihundert Jahre schätzte. „Unglaublich“, murmelte er, während er seine Finger über die grobe Borke gleiten ließ, „was du schon alles überdauert hast.“ „Sascha! Sascha!“, schreckte eine weibliche Stimme ihn auf, worauf er sich hinter den Ahorn stellte und in die Richtung lugte, aus der die Rufe kamen. Er sah eine Frau, die langsam durch den Wald schritt, das Gesicht dem Boden zugewandt, in der Hand einen Ast, mit dem sie Blätter, Äste oder Bucheckern aus dem Weg stupste. Ungefähr alle zwanzig Meter wiederholte sie den Namen Sascha – manchmal so laut, dass ein schwaches Echo aus dem Wald zurückkam, dann wieder als behutsames Flüstern, als könnte sie den Gesuchten dadurch eher aus seinem Versteck locken. Schäfer konnte sich keinen Reim darauf machen. Wenn die Frau ihren Hund vermisste, würde sie doch rufen und gleichzeitig mit den Augen die Gegend absuchen. Und wenn sie einen Schlüssel oder einen anderen Gegenstand verloren hatte, den sie mit ihrem Stock am
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