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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben
Autoren: Georg Haderer
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Waldboden aufzustöbern hoffte: dann brachte es höchstens etwas, den heiligen Antonius anzurufen, so wie Schäfers Großmutter es manchmal getan hatte.
    Als er ihr das zweite Mal begegnete – auf einem verwucherten Pfad am Rande eines Mohnfelds –, brachte er die Frau zuerst nicht mit jenem Erlebnis in Verbindung. (Aus seinem Versteck heraus hatte er ihr Gesicht nicht genau gesehen und bis auf die seltsamen Rufe auch sonst keine Eigenheit bemerkt, die ein Wiedererkennen ermöglicht hätte.) So wunderte er sich kurz, murmelte en passant einen Gruß und wollte seinen Weg schon fortsetzen, als sie ihn fragte, ob er ihren Sascha gesehen hätte. Ihren Sascha , diese Formulierung war in seinem Gedächtnis geblieben. Zumal sie gemeinsam mit dem abwesenden Blick und ihrer leisen Stimme, in der weder Aufregung noch Verzweiflung, noch Hoffnung lagen, den Schluss nahelegte, dass die Frau plemplem war. Diese Vermutung wurde dadurch erhärtet, dass sie einfach weiterging, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Jetzt saß sie an Hornigs Schreibtisch, hatte die Hände in den Schoß gelegt wie ein schüchternes Mädchen und hörte dem Polizisten zu. Nicht dass Schäfer Lippen lesen konnte, aber aus der Bewegung von Hornigs Gesichtszügen und dessen Gesten vermochte er zu erkennen, dass dieser mit der Frau zwar sympathisierte, sie aber keinesfalls ernst nahm. Eine Verrückte, sah Schäfer sich in seinem Verdacht bestätigt; eine einsame Frau, deren Hund entweder davongelaufen oder vor Jahren eingegangen ist. Die seitdem die Gegend absucht und zwischendurch die Polizei anfleht, ihren Fall nur ja nicht aufzugeben. Nun, wir alle suchen etwas, sagte sich Schäfer und wandte seinen Blick von den beiden ab. Doch wenn es nur ein verlorener Hund ist, bleibt man zumindest am Boden. Nicht wie der Herr Major, der … Um sich nicht abermals in Erinnerungen an seine verkorkste Vergangenheit zu verlieren, nahm er den Ermittlungsbericht zum Selbstmord des jungen Mädchens zur Hand.
    Yvonne Raab, siebzehn, Schülerin des Gymnasiums im Nachbarort. Laut Angaben von Lehrern und Mitschülern gut integriert, allseits beliebt, gute Noten, intaktes Elternhaus, keine Hinweise auf familiäre Gewalt, keine offiziellen gesundheitlichen Probleme et cetera. Welches siebzehnjährige Mädchen ohne Probleme setzt sich denn aufs Gleis und wartet darauf, dass der Regionalexpress über sie fährt? Wo war überhaupt der Obduktionsbericht von der Gerichtsmedizin? Schäfer griff zum Telefon, drückte drei Tasten und legte wieder auf. Ach ja, es gab keinen Doktor Koller mehr, mit dem er im eingespielten gegenseitigen Beflegeln über die Tragik der Umstände hinwegreden, dem Tod ins Gesicht grinsen konnte. Jetzt waren die Salzburger für ihn zuständig. Und er würde bestimmt einen Sachverständigen in aufklärungsbedürftigen Ablebensfällen ans Telefon bekommen. Der ihn mit Computerstimme bat, kurz in der Leitung zu bleiben, um dann Leben und Sterben der Yvonne R. aus medizinischer Sicht zu präsentieren wie das Rezept für Omas Schmorbraten.
    Vielleicht auch nicht, musste Schäfer sich eingestehen und schleuderte seinen Wunderball so heftig gegen die Glaswand, dass Hornig und Auer von ihren Schreibtischen aufsahen. Schließlich hatte er seit seiner nicht ganz freiwilligen Versetzung noch nie mit einem der leitenden Ärzte der Gerichtsmedizin Salzburg persönlich gesprochen. Er wollte abwarten, bis er sich gefestigt hatte. Bis er seinen Status als Postenkommandant auch mit einer selbstsicheren Stimme präsentieren konnte. Bis dahin hieß es, nicht mehr neue Kontakte als nötig aufzunehmen, geschweige denn zu vertiefen. Seine neue Arbeitsstelle kam ihm dabei entgegen: die üblichen Verkehrstoten – einmal mehr, einmal weniger betrunken, die üblichen Schlägereien – meist sehr betrunken, die Fälle häuslicher Gewalt – meist einseitig betrunken. Dazu die Einbrüche in Ferienhäuser, Sportkantinen, Gewerbegebäude, die Diebstähle von Werkzeug, Edelmetallen und Fahrzeugen, ein paar Drogendelikte. In Schaching gab es das meiste von dem, was es auch in Wien gegeben hatte. Viel weniger, aber dafür war er jetzt quasi für alles zuständig.
    Das Team, das ihm dabei zur Seite stand, hätte wesentlich schlechter besetzt sein können. Plank, Anfang dreißig, war nicht sehr scharfsinnig, dafür trug er seine Uniform mit Stolz und ohne Überheblichkeit, hielt seinen Schreibtisch aufgeräumt und achtete darauf, vor jedem Arbeitstag zeitig ins Bett zu kommen – zumindest hatte
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