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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir
Autoren: Robert Silverberg
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Wesensänderung von anfänglicher Passivität zur Aktivität und, nach der Offenbarung im Dom, wieder zu passiver Resignation zurück. Im Schloß durchläuft K nicht so klar definierte Stadien; er ist am Anfang des Romans eine durchaus aktive Figur, verliert sich jedoch bald schon in dem alptraumhaften Irrgarten des Dorfs unterhalb des Schlosses und versinkt immer tiefer in Demütigung. Joseph K. ist ein beinahe heldenmütiger Mensch, der K im Schloß höchstens ein bemitleidenswerter.
    Die beiden Romane sind Varianten eines Versuchs, ein und dieselbe Geschichte zu erzählen, nämlich die des existentiell nicht engagierten Menschen, der sich plötzlich in einer Situation wiederfindet, aus der es kein Entkommen gibt, und der sich nach mehreren Versuchen, die Gnade zu erlangen, die ihn aus seinem Leiden erlöst, zuletzt doch noch unterwirft. Wie wir die Bücher heute kennen, ist Der Prozeß zweifellos der größere künstlerische Erfolg, sicher durchstrukturiert und ständig unter der technischen Kontrolle des Autors. Das Schloß, oder vielmehr, das Fragment dieses Romans, das wir haben, ist potentiell jedoch das größere Werk. Alles, was im Prozeß vorkommt, wäre auch im Schloß vorgekommen, und außerdem sogar noch weit mehr. Leider hat man aber das Gefühl, daß Kafka die Arbeit am Schloß einstellte, weil er einsah, daß er nicht die Kraft hatte, sie bis zum Ende durchzuführen. Mit der Welt des Schlosses, seinem weiten Hintergrund Breughelschen Landlebens, wurde er nicht so leicht fertig wie mit dem ihm vertrauten städtischen Milieu des Prozesses.
    Außerdem findet sich im Schloß ein gewisser Mangel an Eindringlichkeit; wir machen uns zu keinem Zeitpunkt große Sorgen über Ks Schicksal, weil sein Untergang unabänderlich ist; Joseph K. dagegen kämpft gegen greifbarere Mächte, so daß wir bis zum Schluß in der Illusion leben, ein Sieg sei für ihn doch noch möglich. Auch ist Das Schloß ziemlich schwerfällig. Wie eine Mahlersymphonie bricht es unter dem eigenen Gewicht zusammen. Man muß sich fragen, ob Kafka tatsächlich eine Struktur ins Auge gefaßt hatte, die es ihm ermöglichte, Das Schloß bis zum Ende durchzuführen. Vielleicht beabsichtigte er überhaupt nicht, den Roman zu beenden, sondern wollte K endlos im Kreis wandern lassen, ohne ihn jemals der tragischen Erkenntnis zuzuführen, daß er das Schloß niemals erreichen wird. Vielleicht ist das der Grund für die verhältnismäßig formlose Struktur seiner späteren Arbeiten: Kafkas Entdeckung, daß die wahre Tragödie des K, sein Archetypus des Helden als Opfer, nicht in der Erkenntnis liegt, daß er unmöglich Gnade finden kann, sondern in der Tatsache, daß er nicht einmal zu dieser letzten Erkenntnis kommt. Hier haben wir den Tragödienrhythmus, eine Struktur, die in der gesamten Literatur zu finden ist – nur diesmal verkürzt, um den Zustand des zeitgenössischen Menschen noch deutlicher hervorzuheben, einen Zustand, der Kafka wahrhaft ein Schrecken war. Joseph K. der tatsächlich eine Art Gnadenzustand erreicht, erwächst zu wahrer, tragischer Größe; K, der einfach immer tiefer sinkt, symbolisiert für Kafka möglicherweise das zeitgenössische Individuum, von der allgemeinen Tragik dieser Zeit so zerstört, daß es zu einer Tragödie auf individuellem Niveau einfach nicht mehr fähig ist. K ist eine mitleiderregende Figur, Joseph K. eine tragische. Joseph K. ist der interessantere Charakter, aber vermutlich war es K, den Kafka weitaus tiefer verstand. Und für Ks Geschichte gibt es kein Ende, es sei denn das sinnlose Ende seines Todes.
    Das ist gar nicht mal so schlecht. Sechs Seiten, zweizeilig beschrieben. Das bringt mir, bei 3,50 Dollar pro Seite, glatte 21 Dollar für weniger als zwei Stunden Arbeit, und Mr. Paul. F. Bruno eine bombensichere Zweiplus von Professor Schmitz. Davon bin ich fest überzeugt, weil mir derselbe Aufsatz, mit ein paar unbedeutenden stilistischen Ausschmückungen, im Mai 1955 bei dem überaus strengen Professor Dupee eine Zwei eingebracht hat. Der Leistungsstandard ist heutzutage, nach zwei Jahrzehnten akademischer Inflation, um einiges niedriger. Vielleicht bekommt Bruno sogar eine Einsminus für diesen Kafka. Die Arbeit enthält genau die richtige aufrichtige Intelligenz, durchsetzt mit der typischen Schuljungenmischung von aufgeklärter Einsicht und naivem Dogmatismus, und seiner Randbemerkung zufolge fand Professor Dupee den Stil 1955 ›klar und kraftvoll‹. Na schön. Zeit für ein bißchen Chow-mein
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