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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir
Autoren: Robert Silverberg
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Jude?«
    »Du hast mich seit zwei Wochen nicht angerufen.«
    »Ich war pleite. Nach der Szene neulich wollte ich das Thema Geld nicht noch einmal anschneiden, und das ist in letzter Zeit leider das einzige Thema, das mir einfällt, also habe ich lieber nicht angerufen.«
    »Quatsch!« antwortet Judith. »Ich war dir nicht böse.«
    »Hat aber verdammt danach geklungen.«
    »Hab’ ich alles nicht so gemeint. Wieso glaubst du, daß ich es ernst gemeint habe? Etwa nur, weil ich geschrien habe? Glaubst du wirklich, daß ich dich für einen… Wie habe ich dich genannt?«
    »Einen haltlosen Schmarotzer.«
    »Daß ich dich für einen haltlosen Schmarotzer halte? Quatsch! Ich war nervös an dem Abend, Dav; ich hatte Probleme, und außerdem waren meine Tage fällig. Da hab’ ich die Beherrschung verloren und hab’ dir die erstbesten Schimpfwörter an den Kopf geworfen, die mir einfielen. Warum glaubst du, ich hätte es ernst gemeint? Ausgerechnet du hättest doch wissen sollen, daß ich es nicht ernst meinte! Seit wann nimmst du das, was andere sagen, für bare Münze?«
    »Weil du es auch mit deinen Gedanken gesagt hast, Jude.«
    »Ich habe was?« Ihre Stimme klingt plötzlich ganz klein und zerknirscht. »Bist du sicher?«
    »Ich habe es laut und deutlich gehört.«
    »Mein Gott, Dav, sei nicht so hart! Bei dieser Wut, die ich hatte, hätte ich alles mögliche denken können. Aber unter dieser Wut – darunter, Dav –, mußt du gesehen haben, daß ich es nicht ernst meinte. Daß ich dich liebe, daß ich dich nicht vertreiben wollte. Du bist doch alles, was ich habe, Dav. Du und das Kind.«
    Ihre Liebe ist mir widerwärtig, und ihre Sentimentalität finde ich geschmacklos. »Ich kann heutzutage nicht mehr viel von dem lesen, was darunter ist, Jude«, antworte ich. »Es kommt einfach nicht mehr zu mir durch. Aber was streiten wir uns über ein Wort! Ich bin ein haltloser Schmarotzer, und ich habe mir mehr Geld von dir geliehen, als du entbehren kannst. Dein großer Bruder, das schwarze Schaf, hat ohnehin genug Gewissensbisse. Nie wieder werde ich dich um Geld bitten.«
    »Gewissensbisse? Du redest von Gewissensbissen, wo ich…«
    »Nicht, Jude!« warne ich sie. »Geh jetzt bitte nicht auf einen Schuldbewußtseinstrip!« Ihre Reue über die Kälte, die sie mir gegenüber früher bewiesen hat, stinkt nur noch mehr als ihre neu erblühte Liebe. »Ich kann heute nicht über Schuld und Fehler diskutieren.«
    »Ist ja schon gut! Wie sieht es denn jetzt mit dem Geld bei dir aus?«
    »Ich sagte doch, daß ich wieder den Ghostwriter mache. Ich komme zurecht, wirklich!«
    »Kommst du morgen zum Abendessen?«
    »Danke, aber ich muß arbeiten. Ich habe eine Menge Aufsätze zu schreiben. Augenblicklich ist Hochsaison, Jude.«
    »Nur wir beide, du und ich. Und der Kleine, natürlich, aber den stecke ich früh ins Bett. Wir könnten wieder mal so richtig reden. Wir müssen über so vieles sprechen. Komm doch rüber zu mir, Dav! Du brauchst doch nicht den ganzen Tag und den ganzen Abend zu arbeiten. Ich koche auch was, was du besonders gern magst. Spaghetti und Tomatensauce. Oder was anderes. Was du willst!« Sie bettelt, diese eiskalte Schwester, die fünfundzwanzig Jahre lang nur Haß für mich übrig hatte. Komm zu mir, Dav, laß dich bemuttern. Komm zu mir, ich möchte lieb zu dir sein, Bruder.
    »Vielleicht übermorgen. Ich rufe dich an.«
    »Morgen geht es auf keinen Fall?«
    »Wirklich nicht«, antworte ich. Schweigen. Sie möchte nicht noch einmal betteln. In diese laut kreischende Stille hinein frage ich: »Was hast du denn inzwischen getrieben, Jude? Irgendwas Interessantes erlebt?«
    »Ich habe überhaupt keinen Menschen gesprochen.« Ein harter Unterton in ihrer Stimme. Sie ist seit zweieinhalb Jahren geschieden und schläft ziemlich viel in der Gegend herum; ihre Seele verbittert langsam. Einunddreißig ist sie jetzt. »Ich bin gerade wieder mal zwischen zwei Männern. Vielleicht gewöhne ich mir die Männer überhaupt ab. Mir macht’s nichts aus, mein Leben lang nicht mehr zu vögeln.«
    Ich unterdrücke ein böses Lachen. »Was ist denn mit diesem Reisebüromenschen, mit dem du befreundet warst?«
    »Mit Marty? Ach, das war doch nur Berechnung. Er hat es möglich gemacht, daß ich für zehn Prozent des normalen Preises in ganz Europa rumkutschieren konnte. Sonst hätte ich mir die Reise nicht leisten können. Ich habe ihn richtig ausgenutzt.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Und ich bin mir beschissen dabei vorgekommen.
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