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Es geht auch anders

Es geht auch anders

Titel: Es geht auch anders
Autoren: Helmut Lotz (Hg.)
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Hintergrund gedrängt, sonst bestand die Musikaufnahme unverändert fort. »Ein kleines audio-technisches Wunderwerk der Rückgängigmachung von Stimmen in bereits fertig gemischten Aufnahmen, so sie dreispurig und ohne zu viel Hall aufgenommen sind«, wie mir Ulf, der Tontechniker, zu erklären versuchte. Im Handel ist dieses Kästchen – zum großen Ärgernis aller Karaoke-Freunde und zur Beruhigung der gesamten Musikindustrie – nicht erhältlich.
    Während Hilde im Hintergrund kaum hörbar vom alten Wolf, der langsam grau wird, sang, übersang ich sie im Vordergrund mit dem »Kollektiv«, das »langsam grau« wurde, meiner Huldigung an die Kneipe und die Verabschiedung des Personals. Am Schluss meiner fünfzehnminütigen Darbietung erntete ich großen Jubel: Dies war die Geburt einer alten Dame namens Irmgard. Nach Stunden im Keller an Lampenfieber und Auftrittswehen leidend, hatte eine Knef, die gar nicht behauptete, »die« Knef zu sein, zum ersten Mal das Licht einer bescheidenen Scheinwerferwelt erblickt.
    An die Darbietung der Originalversionen war nicht zu denken. Denn unser aller Englisch war ja nicht so doll. Diejenigen, die amerikanische oder britische Soldaten als »Privatlehrer« hatten, kamen meist über ein thematisch sehr begrenztes Situationsvokabular nicht hinaus: »Hello«, »Yes, please«, »Thank you darling«, »I love you«, »I love you too!« oder »No more sex anymore«, aber auch »I’ll be a good mother for your sons« – das war’s dann meist. Es erfüllt mich mit Stolz, zu wissen, dass ich wohl die Erste war, die in Deutschland nach dem Kriege einer nicht unerheblichen Zahl von Altersgenossen den Jazz nahegebracht hat, dank meiner eigenen deutschen Texte.
    Hildegard behauptete ja in jedem Interview, im Funk, im Fernsehen, in jeder Talkshow, sie hätte angefangen, Texte, Bücher zu schreiben, literarisch zu arbeiten. Völlig albern und unhaltbar! Vor dem Hintergrund meiner textlichen Pionierarbeit, die tatsächlich eher Missionsarbeit war – hatte ich doch diese wunderbare Jazzmusik einer Generation vermittelt, die bis dato nur den UFA-Sound kannte –, war diese Behauptung nahezu grotesk.
    Ich war die Erste. Die Manuskripte meiner ersten Liedtexte wurden bereits 1951 verlegt – 1952 dann wiedergefunden – und sind bis zum Erscheinen dieses Buches leider unveröffentlicht geblieben. Bereits im zarten Alter von drei Jahren – wir waren noch nicht erhaben genug, um über den Esstisch gucken zu können – zeigte sich schon mein dichterisches Talent. Wir verbrachten damals die Sommermonate in Zossen, bei Großvater auf dem Lande. Großvater hatte eine grau gescheckte Katze, die hieß Minka. Eines Abends, es ging schon auf den Frühherbst zu, lag Minka unweit von Großvaters gemütlichem Herd und jungte. Ich weiß nicht, lieber Leser, ob Ihnen das Wort »jungen« noch geläufig ist, die deutsche Literatursprache ist ja immer mehr am Verarmen. Es handelt sich hierbei um ein literarisches Fachverb für animalisches Kinderkriegen. In diesem Bereich differenziert die deutsche Hochsprache dann doch sehr genau: Die Kuh kalbt, das Pferd fohlt, das Schaf lammt, das Schwein ferkelt, der Hund wirft, der Fisch laicht, der Vogel eiert …
    Hilde und ich, damals noch völlig naiv und selbstredend noch nicht aufgeklärt, ahnten natürlich nicht, was da vor sich ging, und starrten gebannt auf Minka. Spontan fasste ich die Beobachtung dieses kleinen Naturschauspiels in einen originellen zweizeiligen Reim. Während Hildegard – ganz fasziniert vom Tier, das sich in seinen Wehen wand – nur schweigend beobachtete, dichtete ich intuitiv jambenartig:
    Auweh, auweh, auweh,
’s Katzele hat Bau’weh.
    Oder später, als Neunzehnjährige: Viele Mädchen schreiben in diesem Alter, beseelt von dichterischem Elan und Ehrgeiz, Gleichnisse in Reimform, gefüllt mit oft weit hergeholten lyrischen Metaphern. Meist werden Männer in Paar- oder Kreuzreimen angehimmelt, und manche Klassenkameradin schrieb zu unserer Zeit eine »Ode an den Führer«. Ich hatte mich auch aufs Schreiben kapriziert. Während meine Schwester, wie sie ja später oft erzählte, das Zeichnen bevorzugte. Egal, ob Zeichnen oder Dichten, wir wollten beide zum Theater, zum Film, wollten wie so viele in diesem Alter Schauspielerinnen werden. Aber es war ja mitten im Krieg, und für zwei von uns hatten die kein Kontingent. Hildegard hatte das Glück der Erstgeborenen, obwohl ich nach wie vor der Ansicht bin, dass es das Prinzip
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