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Es geht auch anders

Es geht auch anders

Titel: Es geht auch anders
Autoren: Helmut Lotz (Hg.)
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zu bleiben.
    Ich verspannte mich beim Gedanken an die Telefoneinheiten und blieb während des ganzen Gesprächs wenig locker. Die teuren Einheiten mussten ja erst mal verdient und bei Keeses wieder eingetanzt werden. Sie erzählte mir, dass sie sich in Hollywood vorkomme wie auf Eis gelegt, dass sie nichts zu spielen bekäme. Keine Film-, keine Drehbuchangebote. Dass sie nur ge-buy-outet worden sei, weil die Amis nicht wollten, dass wir hier im Nachkriegsberlin wieder ’ne neue UFA aufmachten. Und sie erzählte mir voller Stolz, dass sie jetzt das Schreiben lernen würde. Ich ermutigte sie und fand: »Wird nun auch allmählich Zeit, Hilde!« In diesen Nazi-Schulen hatten wir ja alle wirklich nicht allzu viel beigebracht bekommen.
    Sie behauptete, ein gewisser Dr. Mabuse würde ihr nun die Grundlagen der Literatur vermitteln. Und sie betonte mehrmals, es handele sich dabei nicht um den Herbert, sondern um den Ludwig. Ich verstand trotz des Fluglärms nur Bahnhof und fand es völlig albern. Wollte sie mich mit ihrem Herbert und Ludwig verschaukeln? Wie kam sie auf so was? Ich weiß es nicht. Aber ich wusste natürlich, dass es sich bei Dr. Mabuse um eine fiktive Figur handelte. Halluzinierte sie? Hatte sie während des Mittagsschläfchens einfach nur schlecht geträumt, oder war sie in schlechte Kreise geraten? Stand sie unter Drogen?
    Ich wechselte das Thema und flehte sie an, sie möge ihre Entscheidung, eine Solokarriere zu starten, doch bitte revidieren. Das war zwar viel verlangt, aber doch aus meiner Situation heraus völlig verständlich. Vielleicht war ihr Entschluss im Januar ’48 aus einer Laune heraus entstanden, und sie bereute es insgeheim längst schon, alleine in Amerika zu sitzen und auf Angebote zu warten. Aber es war nichts zu machen: »Begreif doch endlich«, sagte sie, und ihr Ton klang schon leicht genervt: »Ich möchte mich gern von dir trennen – am liebsten auf längere Zeit. Es reicht mir, dich näher zu kennen. Ich mag dich nicht mehr. Tut mir leid.«
    Dann legte sie auf, und ich, ehemaliges Blitzmädel, stand da wie vom Donner gerührt. Konnte nicht fassen, dass sie mich nicht zurückholen wollte ins gemeinsame Boot. Ausgebootet stand ich da. Ohne Angebote. Und ohne Buy-out. Stand da und wusste nur: »Ich bin jung. Ich bin begabt. Ich gebe Rätsel auf!« Aber an eine Potenzierung unserer kreativen Kräfte durch eine gemeinsam-schwesterliche Karriere war nun nicht mehr zu denken. Die Tür war ins Schloss gefallen und der Hörer auf die Gabel.
    In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass sie nicht mal im Traum daran denken würde, mich künftig in ihrer Biografie auch nur zu erwähnen. Sie wollte alleine rudern in Amerika und würde sich ins Zeug legen – das war klar. Würde rudern und rudern, bis sie es in die Stromschnellen des Mainstreams geschafft haben würde. Mir aber schwante, dass ich in Kreuzberger Seitenkanälen immer nur gegen den Strom paddeln würde.
    Gefiel ich tatsächlich nicht? Warum gefiel ich nicht? War ihr Gesicht denn nicht auch meines? War es nicht unser Gesicht? Ein Gesicht, das die Illustrierte Stern in ihrer ersten Ausgabe wenige Monate zuvor so treffend mit »natürlich« und »anmutig« umschrieben hatte?
    Traurig ging ich nach Hause, zurück in die Fidicinstraße. Die Flieger starteten und landeten, und Westberlin war versorgt trotz Blockade. Und ich? Ich war blockiert trotz Versorgung. Künstlerisch blockiert – mein Dasein als Eintänzerin half ja nur über gröbste materielle Not hinweg. Künstlerisch blieb es unbefriedigend. Aber zwischenmenschlich gab es einen hellen Streifen am Horizont: Im Zusammenhang mit der Berliner Luftbrücke wurde mir ein US-amerikanischer GI vom Air-Force-Bodenpersonal vorgestellt, der mich dann immer mit dem Notwendigsten versorgte: Zigaretten, Nylons, Kaugummi und Seife. Aber das Wichtigste: Durch ihn lernte ich den Jazz kennen. Er hieß Bob und war ein schillernder Charakter von unglaublicher Musikalität. Für mich war er Cool Jazz und Swing zugleich. Als er mich eines Abends nach Hause brachte und mir im Seitenflügeleingang gestand, dass er in seiner Kaserne auch ab und an mit Männern schlafen würde, da hab ich ihn nicht stehen lassen. Ich hab ihm auch keine gescheuert. Ich habe nur wissend gelächelt und ihm gesagt: »Na, denn biste ab heute für mich nur noch Bi-Bob!« Später habe ich oft erzählt, dass ich bereits vor Charlie Parker Bebop entdeckt hätte, und dann diese Geschichte erzählt. Meistens haben alle
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