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Es geht auch anders

Es geht auch anders

Titel: Es geht auch anders
Autoren: Helmut Lotz (Hg.)
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Flokati-Teppiche aus Plastik. Morgens fliegt Rohloff über den See. Er liegt mit ausgebreiteten Armen auf dem Kiel des Bootes und trägt eine weiße Feder auf dem Kopf.
    Wir wohnen in einem anderen schwimmenden Hotel. Paula ist dreizehn, sie kocht. Ein amerikanisches Paar wollte sie für 700 Dollar kaufen. Dem Vater fehlt ein Arm, er hat mit Bomben gefischt. Auf dem Tisch steht eine Flasche mit gelber Flüssigkeit. Der Wirt erklärt uns, dass die Mücken erschrecken und auf der Stelle tot umfallen, wenn sie sie sehen. Die Mädchen auf dem Boot tragen Lippenstifte in Malvenrosa. Innen an der Toilettentür ist ein Kussmund in derselben Farbe. Der Wald spiegelt sich dunkel im schwarzen Wasser. Piranhas schwimmen herum, rosa Blüten treiben auf der Oberfläche. Es ist feucht wie in einer Sauna. Eine wunderschöne Hölle.
    Abends gehen wir in ein Fuß- und Fingernagelstudio. Umbanda – eine Art von Voodoo. Ich habe Fragen. In meiner Unterhose sitzt ein Floh, was entsetzlich ist, aber ich kann mich befreien, bevor ich verzweifle. In meinem Kopf fliegen weiße Vögel. Ich sitze nackt vor einem Wassertrog und werde mit Zuckerrohrschnaps übergossen. Die weißen Vögel fliegen noch immer, und ich weine. Die Mädchen im Zimmer schauen mich an, und ich träume: Im Sturm fährt das Hausboot auf einem breiten Fluss durch den riesigen Urwald. Das Wasser ist schwarz und trägt Schaumkronen. Das Boot fährt rasch, aber sanft durch den Sturm. Wir schlafen in Hängematten, und unten hängt die Erde im All. Nach dem Sturm ist das Wasser so glatt wie Plastikfolie in einem Marionettentheater, glänzt aber stärker.
    Der Einarmige auf dem Boot fragt mich, wie alt ich sei. Er meint, ich sähe noch sehr jung aus: »You have a babyface, so you must have a good life in Germany.«
    Nach der Urwaldtour kämmt sich der Bootsführer mit einem kleinen Kamm. Im Hafen kommen gleichzeitig zwei Dampfer an. In einer Kneipe an der Straße spielt laute Livemusik, alle singen falsch. Auf einer Biertruhe schläft die kleine Tochter des Barkeepers. Vielleicht sehen Rohloff und ich aus wie ein Ehepaar, das ein Kind kaufen will.
    Ich habe meinen Kompass dabei. Mein Vater hat gesagt, dass ich unbedingt einen Kompass mitnehmen muss. Ich lege ihn im Hotel vor der Rezeption auf den Boden und suche mein Zimmer. Komisch, irgendwann kamen Missionare und sagten: »Hallo, ihr Lieben, es gibt ein Oben und ein Unten, es gibt einen Himmel und eine Hölle, Gut und Böse. Und jetzt ab die Post. Jetzt wird gejodelt, gebetet und gehäkelt, jetzt werden Choräle gesungen und Rüschen getragen.«
    So ist das im Amazonasgebiet. Die Mädchen bleichen sich die Beinhaare, die Männer ziehen sich das T-Shirt über ihren Bauch hoch bis zur Brust, um ihn zu kühlen, and I wish you’re floating home.

… und weiter geht’s:
    Cora Frost
Mein Körper ist ein Hotel
    Eingerichtet von Kai Precht
    ISBN 978-3-86034-507-8

Ulrich Michael Heissig
Irmgard, Knef und ich
    Als neunzehnhundert… noch vor der Währungsreform …achtundvierzig zwei völlig alberne und, wie ich fand, auch nur leidlich begabte Backfische, Alice und Ellen Kessler – die Kessler-Zwillinge –, ihre allerersten größeren Achtungserfolge feierten, hat Hildegard zu mir gesagt: »Irmgard, vergiss es! Der Markt ist voll! Der Bedarf ist gedeckt! Diese Nachfrage ein für alle Mal gesättigt! Ich mach ’ne Solokarriere! Wenn auch du unbedingt etwas im Showbiz machen möchtest: Es gibt auch schöne Berufe hinter der Bühne!«
    Sie ist dann in die Staaten gegangen – die Geschichte kennen Sie –, seitdem ist sie ein Weltstar: in Deutschland. Ich bin zunächst hauptsächlich in Berlin geblieben und habe jahrzehntelang hintergründig geschwiegen. Mein Schweigen hat mich wahnsinnig viel gekostet – Hilde manchmal auch. Nun saß ich also im ausgebombten Berlin, der Reichshauptstadt, die nicht mehr war. Nicht mehr war als ein »Trümmerfeld bei Potsdam«, wie es der spätere Intendant des Theaters am Schiffbauerdamm damals so treffend formulierte. Die Häuser glichen hohlen Zähnen, wenn sie überhaupt noch irgendetwas glichen. Die Straßen waren gesäumt von Mauerstümpfen und Steinhaufen.
    Nicht umsonst hatten wir die Namen unserer Bezirke der Realität angepasst: Aus Lichterfelde war Trichterfelde, aus Steglitz Stehtnix und aus Charlottenburg Klamottenburg geworden. Eine vom Volksmund vorgenommene Umbenennungsaktion, die kein anderes Ziel hatte, als der Wirklichkeit Rechnung zu tragen: dem Ergebnis der »Blut und
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