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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt
Autoren: Cate Tiernan
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großen umgestürzten Baumstamm am Rand der Lichtung. Ich wollte nicht - in mir schrie alles Lauf! Aber meine Füße trugen mich zum Baumstamm und ich setzte mich hin. Ich wollte nicht hier sein, hier bei ihm, aber das Feuer war so anheimelnd, so tröstlich.
    »Du warst zu lange fort, Nasty«, sagte Incy. »Ich habe dich so vermisst. Das haben wir alle.« Immer noch lächelnd deutete er um sich und in der Hoffnung auf meine alte Truppe ließ ich den Blick suchend umherschweifen. Aber außer mir und Incy war niemand da und ich wollte gerade fragen, wieso.
    Dann sah ich es. Das Feuer ... da war ein Schädel im Feuer, mit verschmorten Fleischfetzen, schwarz verbrannt und fast von den Flammen verzehrt. Mein Mund öffnete sich zu einem entsetzten Japsen. Das Feuer war voller Knochen, es bestand aus Knochen. Ich wusste im Bruchteil einer Sekunde, dass es Boz und Katy waren - vielleicht auch Stratton und Cicely. Incy hatte sie alle umgebracht und verbrannte ihre Körper. Ich sprang auf, aber wieder lächelte Incy mich an: Er hatte mich. Es gab keine Fluchtmöglichkeit. Plötzlich spürteich den widerlichen, beißenden Gestank von brennendem Haar und Fleisch in Nase und Mund. Ich hatte das Gefühl zu ersticken und fing an zu würgen. Ich konnte nicht atmen. Ich versuchte zu schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Ich wollte rennen, aber meine Füße waren buchstäblich angewurzelt - dicke rankende Wurzeln bedeckten sie, hielten mich fest und begannen, an meinen Beinen hochzuwachsen. Klopf, klopf.
    Ich würgte wieder und im nächsten Moment fuhr ich hoch und riss die Augen auf. Ich keuchte. Mein Blick war wild und mein Körper mit kaltem Schweiß bedeckt - in meinem Zimmer in River's Edge.
    Klopf, klopf.
    Meine Hände waren zu Klauen verkrallt, meine Atmung gehetzt. Ich versuchte, mich zusammenzureißen. Ich spürte Reyns Energie vor meiner Tür und war innerhalb von einer Sekunde auf den Beinen.
    Ich holte ein paar Mal tief Luft, um mich zu beruhigen.
    »Was willst du?«, rief ich durch die Tür und bemühte mich, normal zu klingen. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade von einer Brücke gesprungen, und lehnte mich zittrig gegen die Tür. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker - es war fast zehn. Die meisten anderen waren inzwischen in ihren Zimmern und viele von ihnen schliefen schon. Unsere Tage begannen gottlos früh.
    »Mach die Tür auf«, kam es halblaut von Reyn.
    »Warum?«
    »Mach sie einfach auf.« Er klang jetzt schon genervt. Allmählich hatte ich es super drauf, ihn zu reizen.

    Aber ich, hatte keine Angst vor ihm, und um das zu beweisen, öffnete ich die Tür und verschränkte die Arme. Und natürlich wurde mir genau da bewusst, dass ich mir die Haare nach dem Baden nicht gekämmt hatte und außerdem noch mit nassen Haaren eingeschlafen war. Vermutlich standen sie jetzt in einem wirren Haufen an einer Seite meines Kopfes ab. Verbunden mit meinem ungeschminkten Gesicht, den Kissenfalten auf der Wange und den überaus weiblichen Stricksocken, der langen Unterhose, dem Schal und einer Strickjacke gab ich garantiert ein Bild ab, wie es so noch keiner gesehen hatte.
    Reyn neigte den Kopf zur Seite und sah mich an. »Bist du okay?«, fragte er. »Du siehst ... «
    »Hast du mich deswegen geweckt?«, unterbrach ich ihn. »Um einen Spruch über mein Aussehenabzulassen?« Es war eine echte Erleichterung, dieses sinnlose Gezicke mit dem Wikingergott. Auf jeden Fall um Längen besser als zuzusehen, wie der ehemalige beste Freund alle anderen Freunde im Wald verbrannte.
    »Komm mit«, sagte Reyn. »Ich will dir was zeigen.«
    Ehrlich gesagt hatte ich etwas Originelleres erwartet.
    »Echt?«, fragte ich spitz. »Das ist es? Das ist alles, was dir eingefallen ist?«
    Er runzelte die Stirn, was ihn natürlich noch besser aussehen ließ. Reyn war kein hübscher Junge; sein Gesicht war eckig, der Kiefer kantig, der Mund hart. Seine Nase war ein bisschen krumm und hatte einen kleinen Höcker, wo sie wer weiß wie oft gebrochen war. Und er hatte sich genauso in Schale geworfen, um mich zu beeindrucken, wie ich: Jeans, an denen noch Heuhalme hingen, seine verkratzten Arbeitsstiefel, ein Flanellhemd, das so abgetragen war, dass der Kragen schon fast von selbst abfiel.
    Ich hätte ihn am liebsten bei lebendigem Leib aufgefressen. Okay, vergessen wir das. Verzögerter Schock.
    »Ich meine es ernst«, sagte er und sah tatsächlich so ernst aus, wie man nur aussehen
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