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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt
Autoren: Cate Tiernan
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Schwestern haben.« Ich erlaubte mir keine Prognose, ob ich Annes Schwester mögen würde oder nicht. Die meisten Leute mag ich nicht. Ich kann sie ganz gut ertragen, aber sie mögen? Das ist entschieden schwerer.
    »Ich denke, du wirst feststellen, dass Unsterbliche, die un— ter vierhundert Jahre alt sind, eher Geschwister haben«, sagte River und wusch sich die Hände im Ausguss. »Die, die älter sind als vierhundert, haben meistens keine.«
    »Wieso?«, fragte ich. »Du hast doch Brüder, oder?«
    »Ja, vier«, sagte River. Sie sah mich an und ihr nahezu faltenfreies Gesicht wirkte nachdenklich. Sie strich sich eine silberne Haarsträhne aus der Stirn und zuckte mit den Schultern. »Für jemanden in meinem Alter ist das ungewöhnlich.« »Wieso?«, fragte ich noch einmal. War das irgendein merkwürdiges Unsterblichen-Genetik-Ding?
    »In früheren Zeiten«, sagte sie langsam, »hatten Unsterbliche die Angewohnheit, andere Unsterbliche umzubringen, um an ihre Kraft zu kommen.«
    Meine Augen wurden groß. »Was?«
    »Du weißt doch, dass wir hier Tähti-Magie betreiben, Magie, die nichts anderes zerstört«, sagte sie. Ich nickte. »Und du weißt, wie man Terävä-Magie macht, bei der man nicht seine eigene Kraft kanalisiert, sondern sich die von etwas anderem nimmt und es dabei zerstört.«
    Ich nickte wieder. Diese ganze Gut-gegen-Böse-Geschichte. Alles klar. Das versuchte ich gerade zu lernen.
    »Man kann diese Kraft von Pflanzen, Tieren, Kristallen ... und Menschen nehmen.« Ihre Lippen waren fest zusammengepresst. »Du kannst die Kraft einem anderen entziehen und sie für dich selbst nutzen. Aber es bringt den anderen natürlich um. Oder Schlimmeres.«
    Ich hätte wissen müssen, dass so etwas möglich war. Es kam mir blöd und irgendwie naiv vor, dass ich nicht von selbst darauf gekommen war. Aber das war ich ehrlich nicht. . ~.
    River bemerkte mein verblüfftes Gesicht. »Du weißt, dass man uns töten kann«, sagte sie sanft.
    Ein Schmerz durchfuhr mich, ein Schmerz, den ich gut kannte, der schon so lange zu mir gehörte, dass es mir ganz natürlich vorkam, ihn bei jedem Atemzug zu spüren. Ja, ich wusste es. Meine Eltern waren vor meinen Augen getötet worden. Ich hatte mit angesehen, wie meine zwei Brüder und zwei Schwestern geköpft wurden. Ich war über den Teppich gegangen, der mit ihrem Blut vollgesogen gewesen war. Also keine Geschwister. Ich versuchte zu schlucken, aber ich hatte einen Klumpen im Hals.
    »Wenn ein Unsterblicher einen anderen tötet, kann er die Lebensenergie dieser Person nehmen und sie seiner eigenen hinzufügen«, fuhr River fort. »Und außerdem ist dann eine Person weniger da, die ihnwomöglich zu töten versucht.« Mein Atem kam jetzt in flachen Stößen und mein kurzer Abstecher in die Familiengeschichte schien alles zu dämpfen, was sie sagte. »Verstehe«, sagte ich und meine Stimme klangganz dünn. »Das hat Reyns Vater also versucht, als er meine Familie umgebracht hat. Während Reyn auf dem Gang Wache gehalten hat.«
    River war sehr ernst und strich mir über die Wange. »Ja.«

2
    Ich glaube, River hat dieses Anwesen mit den verschiedenen  Gebäuden und ungefähr fünfundzwanzig Hektar Land um 1904 gekauft. Wie die meisten Unsterblichen hatte sie sich unter einem bestimmten Namen niedergelassen, dann so getan, als würde sie sterben, und war als ihre eigene lange verschollene Tochter wieder aufgetaucht, um ihr Erbe zu beanspruchen.
    Alle Unsterblichen haben einen Haufen  verschiedener Identitäten, Vergangenheiten, Pässe und so weiter. Wir haben ein Netzwerk hervorragender Fälscher und natürlich hat jeder seinen Favoriten, wie andere Leute ihren Lieblingsdesigner oder -friseur haben. Aber ich vermisse die Zeiten, in denen es noch keine Passfotos und Sozialversicherungsnummern gab. Heutzutage ist es echt schwierig, von einem Land zum anderen zu ziehen und sich immer wieder neu zu erfinden.
    Mein Zimmer befand sich wie alle anderen im ersten Stock.
    Die Räume waren ziemlich spartanisch eingerichtet, nur ein  Bett, ein Waschbecken und ein paar andere Dinge. Ich hatte gerade ein paar frisch gewaschene Sachen in meinen kleinen Schrank gestopft, als ich die Glocke fürs Abendessen hörte.
    Wie Tiere zur Futterzeit verließen wir alle unsere Zimmer  und strömten nach unten. Auf dem Flur begrüßte ich meine Mitschülerin Rachel, die ursprünglich aus Mexiko kam und ungefähr dreihundertzwanzig Jahre alt war, und den Japaner
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