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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
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drinnen, ein einsamer harter Turm, der Monolith.«
    Ich machte eine zweideutige Geste in der Luft, nur um nicht antworten zu müssen. In dem Moment hielt der Bus und rettete mich.
     
    Daheim auf dem Küchensofa. Mit Stift und Papier. Worum soll es bei meiner Poesie gehen, was ist das Wichtigste, was ich nie vergessen darf?
     
    1. Ehrlichkeit. Weil es nur für mich selbst ist und niemand sonst es lesen soll, kann ich die Wahrheit schreiben. Ich muss mich nicht verstellen. Muss nichts verfälschen oder lügen.
     
    2. Die Worte benutzen, die ich benutzen will. Schwanz. Fotze. Satan. Arsch. Neger. Zigeuner. Detlef. Hure. Aas. Gaga. Scheiße. Kotze. Menstruationsblut. Tuberkulosehustenauswurf. Nasennebenhöhlengrüner Rotz. Fettwanst. Wichser.
    Schreibübung in regelmäßigem Abstand: Schreibe wirklich ehrlich alle kranken Gedanken auf, die dir in den Sinn kommen, ganz ohne Zensur, wie wahnsinnig sie auch sind.
     
    3. Gib dir keine Mühe, tüchtig zu sein. Das ist kein Wahlkampf. Das ist keine Stellenbewerbung. Ich kriege kein Zeugnis dafür. Das soll niemand rezensieren. Sollte mein Geschriebenes einem Schulaufsatz ähneln, werde ich eine Ratte in den Arsch ficken, bis sie platzt (Oioi, was für ein Satz, sicher Eins plus).
     
    4. Sei kindisch. Das heißt, einfach. Ja, geradezu dumm. Wenn ich eine Scheibe Brot haben will, dann schreibe ich das. Eine Scheibe mit Tubenkaviar, das wäre gut. Eine Kaviarscheibe mit Kakao, das ist kindisch. Oder zu schreiben, dass ich Fußballprofi werden will. Das schreibt man nicht, wenn man sechzehn geworden ist. Wie etwa: »Ich träume davon, Fußballprofi zu werden, alle auszudribbeln und Weltmeister zu werden.« Oder in wen man verliebt ist. Wie beispielsweise: »Was bin ich verliebt in Sabina Stare, ihr süßes Lächeln, ihr seidenweiches Haar und ihre spitze Brust, ich würde Sabina Stare gern in den Arm nehmen, auch wenn sie mich umbringt, sie festhalten, die Augen schließen und sie küssen, das wäre wie der Himmel für mich.«
    Superkindisch. Aber ich traue es mich.
     
    Okay, vier Punkte, das reicht. Sie werden mir helfen, den Mist aus meinem alten Leben wegzukehren. Nichts ist mehr heilig. Alles kann verändert werden. So bin ich heute beispielsweise in einem Putzkittel herumgelaufen und habe Hunderte von Menschen geärgert. Vor nur wenigen Tagen hätte ich mich das niemals getraut. Einige meinen, ich hätte mich blamiert, aber die irren sich. Wenn es anders gewesen wäre, wenn ich es beispielsweise morgens eilig gehabt hätte und das Licht zu trübe gewesen wäre, so dass ich aus Versehen den Kittel angezogen und es erst bemerkt hätte, als alle mich anstarrten, dann hätte ich mich blamiert. Aber wenn man es absichtlich tut, ist es etwas anderes. Dann ist man mutig. Vielleicht ist man auch etwas verrückt, aber in erster Linie ist man mutig.
    Soll ich morgen wieder den Kittel anziehen?
    Ja, schon möglich.
    Aber warum, ich habe es doch schon getan?
    Weil es sich immer noch peinlich anfühlt.
    Erst wenn es nicht mehr peinlich erscheint, wenn der Kittel ganz selbstverständlich wird, wie jedes andere Kleidungsstück, dann kann ich aufhören?
    Ja, dann höre ich auf.
     
    Ich schaute auf die Uhr. Mama würde bald von der Nachmittagsschicht kommen. Es bestand das Risiko, dass sie früher oder später in dem, was ich geschrieben hatte, herumschnüffeln würde. Das durfte nicht passieren. Ich musste ein bombensicheres Versteck finden.
    An eine der Schreibtischschubladen war gar nicht zu denken. Sie ließen sich nicht verschließen. Zwischen meiner Unterwäsche? Nein, da wühlte sie herum, wenn sie in die Waschküche wollte. Hinter dem Kühlschrank? Nein, es bestand immer das Risiko, dass sie dahinter sauber machte. Außerdem war es ziemlich schwierig, dort ranzukommen.
    Ich schaute mich in der Wohnung um. Musste einen absolut nicht erwartbaren Platz finden. Mein Blick fiel auf ein Bild an der Wand. Sie hatte es auf den Kanarischen Inseln gekauft und mir vor langer, langer Zeit geschenkt, es war ein Bild von Michel aus Lönneberga und dem kleinen Ferkel. Ein Spanier hatte es gemalt, es kamen ja viele Schweden auf die Kanarischen Inseln, der Typ verdiente gerade an Michel richtig gut. Kräftige spanische Farben, und die Birke im Hintergrund sah eher aus wie ein Olivenbaum.
    Ich nahm das Bild herunter. Die hintere Pappe konnte man ablösen. In dem Spalt zwischen Pappe und Bild versteckte ich meine Papiere und hängte das Bild dann wieder auf.
     
    Bevor ich einschlief, war es, als
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