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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution
Autoren: Matt Ridley
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sich der ganzen Tragweite dieser Erkenntnis bewußt. Damals verfocht Richard Dawkins von der Oxford University die aufsehenerregende These, man müsse aus der Tatsache, daß es die Gene sind, die perfekte Kopien von sich selbst herstellen – nicht aber der Körper, der nur heranwächst –, unausweichlich folgern, daß der Körper lediglich ein evolutionäres Transportmittel für seine Gene darstelle. Indem die Gene den Körper dazu veranlassen, Dinge zu tun, die den Erhalt der Gene fördern – essen, überleben, Geschlechtsverkehr haben und Kinder großziehen –, erhalten die Gene sich selbst. Andere Arten von Körpern werden verschwinden. Nur Körper, die dem Überleben und der Erhaltung von Genen dienen, werden übrigbleiben.
    Diese Überlegungen Dawkins’ haben die Biologie bis zur Unkenntlichkeit verändert. Was bis dahin – trotz Darwin – eine in erster Linie deskriptive Wissenschaft gewesen war, wandelte sich nun zu einer Wissenschaft der funktionellen Zusammenhänge – ein entscheidender Unterschied. So wie kein Ingenieur im Traum daran dächte, einen Automotor ohne Rücksicht auf dessen Funktion (Antrieb von Rädern) zu beschreiben, so dächte auch kein Physiologe daran, einen Magen ohne Rücksicht auf dessen Funktion (Verdauung von Nahrung) zu beschreiben.
    Aber vor – sagen wir – 1970 waren die meisten Studenten und Wissenschaftler, die das tierische Verhalten, und eigentlich alle, die das menschliche Verhalten erforschten, damit zufrieden, ihre Befunde ohne jede Rücksicht auf mögliche Funktionen zu beschreiben. Die Gen-zentrierte Sichtweise der Welt hat dies für immer verändert. Im Jahre 1980 schließlich war man soweit, keinem Detail tierischen Balzverhaltens irgendeine Bedeutung beizumessen, solange es sich nicht in den Rahmen selektiver Konkurrenz von Genen einordnen ließ. Und im Jahre 1990 erschien es allmählich lächerlich, daß Menschen die einzigen Tiere sein sollten, die von dieser Logik ausgenommen wären. Wenn der Mensch die Fähigkeit entwickelt haben sollte, sich über evolutionäre Gebote hinwegzusetzen, dann muß das für seine Gene irgendeinen Vorteil gehabt haben. Selbst die Emanzipation von der Evolution also, von der wir so gerne glauben, wir hätten sie erreicht, müßte daher deshalb stattgefunden haben, weil es der Replikation der Gene dienlich war.
    In meinem Schädel befindet sich ein Gehirn, das seinerzeit dazu bestimmt war, sich den Bedingungen einer afrikanischen Savanne vor etwa drei Millionen Jahren bis vor etwa einhunderttausend Jahren anzupassen. Als meine Vorfahren vor ungefähr einhunderttausend Jahren nach Europa einwanderten (ich bin meiner Abstammung nach weißer Europäer), nahmen sie rasch eine Reihe von Merkmalen an, die dem sonnenarmen Klima der nördlichen Breiten angemessen waren: helle Haut zur Verhinderung von Rachitis { * } , Bärte beim männlichen Geschlecht und ein relativ kälteunempfindlicher Kreislauf. Im übrigen änderte sich ziemlich wenig: Schädelgröße, Körperproportionen und Zähne sind bei mir noch dieselben wie vor hunderttausend Jahren auch und dieselben wie bei einem Stammesangehörigen der San in Südafrika. Und es gibt auch nur wenig Anlaß zu glauben, die graue Substanz innerhalb meines Schädels habe sich stark verändert. Einhunderttausend Jahre sind schließlich nur dreitausend Generationen, ein kleiner Augenblick der Evolution, gleichbedeutend mit anderthalb Tagen im Dasein einer Bakterienkultur. Hinzu kommt, daß bis vor gar nicht langer Zeit das Leben eines Europäers dem eines Afrikaners in seinen Grundzügen sehr ähnlich war: Beide gingen auf die Jagd, um sich mit Fleisch zu versorgen, und sammelten Pflanzen. Beide lebten in Sozialverbänden. Bei beiden waren die Kinder bis zum späten Jugendalter von den Eltern abhängig. Beide verwandten Stein, Knochen, Holz und Pflanzenfasern, um Werkzeuge herzustellen. Beide gaben ihr Wissen mittels einer komplexen Sprache an die nächste Generation weiter. Solche evolutionären Errungenschaften wie Ackerbau, Metallverarbeitung und Schrift kamen erst vor etwa dreihundert Generationen auf, vor viel zu kurzer Zeit also, als daß sie in meinem Gehirn viele Spuren hätten hinterlassen können.
    Es gibt deshalb so etwas wie eine universelle menschliche Natur, die allen Völkern gemeinsam ist. Gäbe es im heutigen China noch wie vor einigen Millionen Jahren lebende Nachkommen des Homo erectus, deren Intelligenz sich mit unserer vergleichen ließe, dann könnte man wahrhaftig sagen,
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