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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution
Autoren: Matt Ridley
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und sprechen zu können und noch einiges mehr. Vor allem anderen jedoch haben sie die Neigung zur Fortpflanzung geerbt. Diejenigen unter den menschlichen Vorfahren, die sich fortgepflanzt haben, gaben ihre Merkmale an ihre Nachkommen weiter, jene, die kinderlos blieben, nicht. Daher wurde alles, was die Chancen eines Menschen zur erfolgreichen Fortpflanzung erhöhte, auf Kosten jedes anderen Merkmals an die Folgegeneration weitergegeben. Wir können uns daher ziemlich sicher sein, daß es in unserem Wesen nichts gibt, das nicht in diesem Sinne sorgfältig auf seine Eignung hin »ausgewählt« wurde, zum Reproduktionserfolg beizutragen.
    Dies scheint eine bemerkenswert frevelhafte Behauptung zu sein. Sie scheint die Existenz eines freien Willens zu leugnen, jene zu ignorieren, welche sich zur Keuschheit entscheiden, und den Menschen als programmierten, ausschließlich der Fortpflanzung ergebenen Roboter darzustellen. Sie scheint stillschweigend vorauszusetzen, daß Mozart und Shakespeare von nichts anderem motiviert gewesen seien als von Sex.
    Doch ich weiß von keiner anderen Möglichkeit, wie sich menschliche Natur hätte entwickeln sollen, außer durch Evolution. Evolution aber kann – dafür gibt es inzwischen eine Flut von Indizien – auf keine andere Weise funktionieren als durch eine von Konkurrenzdenken geprägte Fortpflanzung. Arten, die sich fortpflanzen, bleiben erhalten, jene, die sich nicht fortpflanzen, sterben aus. Die Fähigkeit zur Fortpflanzung unterscheidet lebende Wesen von Felsbrocken. Im übrigen verträgt sich diese Sichtweise durchaus mit der Existenz eines freien Willens und auch mit der Ausübung von Keuschheit. Menschen gedeihen meiner Ansicht nach in dem Maße, wie sie Eigeninitiative entwickeln und ihre individuelle Begabung entfalten können. Freier Wille jedoch ist nicht zum Spaß erschaffen worden; es gab einen Grund dafür, daß die Evolution unseren Vorfahren die Fähigkeit verliehen hat, selbständig zu handeln, und dieser Grund bestand darin, daß freier Wille und Entscheidungsfähigkeit nützlich dabei waren, den Ehrgeiz zu befriedigen, mit anderen zu konkurrieren, mit kritischen Situationen fertig zu werden und schließlich eine bessere Ausgangsposition für die Fortpflanzung und die Erziehung von Kindern zu erlangen als andere, denen es nicht gelingen sollte, sich fortzupflanzen. Der freie Wille selbst ist daher nur so lange von Vorteil, wie er zum Reproduktionserfolg beiträgt.
    Sehen Sie es einmal von einer anderen Warte. Angenommen, eine Studentin leistet Hervorragendes, versagt aber bei Prüfungen – sagen wir, ihr schnürt der bloße Gedanke an eine Prüfung die Luft ab –, dann zählen ihre hervorragenden Leistungen nichts in einem Kurs, der auf der Grundlage einer einzigen abschließenden Prüfung bewertet wird.
    Vergleichbar damit kann ein Tier, das hervorragende Überlebensqualitäten besitzt, über einen effizienten Stoffwechsel verfügt, allen Krankheiten widersteht, rascher lernt als alle seine Konkurrenten und ein hohes Alter erreicht, das aber unfruchtbar ist, seine qualifizierten Gene einfach nicht an die folgende Generation weitergeben. Alles kann vererbt werden – nur Sterilität nicht. Wenn wir also verstehen wollen, wie sich die menschliche Natur im Laufe der Geschichte entwickelt hat, dann muß im Zentrum unserer Untersuchung konsequenterweise die Reproduktion stehen, denn eine erfolgreiche Reproduktion ist die Prüfung, die alle menschlichen Gene bestehen müssen, wenn sie nicht durch natürliche Selektion ausgesiebt werden wollen. Daher werde ich im folgenden zu belegen versuchen, daß es nur sehr wenige Eigenschaften der menschlichen Psyche und Natur gibt, die sich vor einem anderen Hintergrund erklären lassen als vor dem der Reproduktionsfähigkeit. Ich werde mit der Sexualität selbst beginnen. Reproduktion ist nicht gleichbedeutend mit Sexualität: Es gibt etliche asexuelle Möglichkeiten der Fortpflanzung. Die sexuelle Fortpflanzung aber erhöht offenbar den Reproduktionserfolg, sonst wäre die Sexualität nicht mit einer solchen Beständigkeit erhalten geblieben. Mit der Intelligenz schließlich, der menschlichsten aller Eigenschaften, werde ich diese Ausführungen beenden. Ließe man die sexuelle Konkurrenz außer acht, wäre äußerst schwer zu verstehen, wie die Menschen es fertigbrachten, so gescheit zu werden.
    Was war das für ein Geheimnis, das die Schlange Eva verriet? Daß sie eine bestimmte Frucht essen sollte? Unsinn. Das war lediglich
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