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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution
Autoren: Matt Ridley
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die Umschreibung. Die Frucht war das Wissen um fleischliche Genüsse, und jedermann – von Thomas von Aquin bis Milton – wußte das. Woher sie das wußten? Nirgendwo in der gesamten Schöpfungsgeschichte findet sich auch nur der geringste Hinweis auf die Gleichung: verbotene Frucht gleich Sünde gleich Sex. Wir wissen, daß es wahr ist, weil nur eine einzige Sache von solch zentraler Bedeutung für die Menschheit sein kann.
    Sex.

Von Angeborenem und Erworbenem
    Die Vorstellung, daß wir durch unsere Vergangenheit geformt sind, war die wichtigste Erkenntnis Charles Darwins. Er war der erste, dem klargeworden war, daß man von der Idee der göttlichen Schöpfung der Arten Abstand nehmen kann, ohne sich von der Formgebungsthese entfernen zu müssen. Jedes Lebewesen ist – ohne daß es ihm bewußt wäre – durch die selektive Reproduktion seiner Vorfahren dahingehend »geformt«, daß seine Natur einem bestimmten Lebensstil angemessen ist. Die menschliche Natur wurde durch die natürliche Selektion ebenso sorgfältig auf einen sozial lebenden, zweibeinigen und ursprünglich afrikanischen Affen zugeschnitten wie der menschliche Magen auf einen allesfressenden afrikanischen Affen mit einer Vorliebe für Fleisch. Die meiner Argumentation zugrundeliegenden Voraussetzungen haben vermutlich bereits zwei Arten von Leuten irritiert. Denjenigen, die der Ansicht sind, die Welt wäre innerhalb von sieben Tagen von einem Mann mit langem Bart erschaffen worden, weshalb die menschliche Natur nicht durch Selektion, sondern durch eine höhere Intelligenz geformt sei, entbiete ich meinen respektvollen Gruß. Wir haben nicht viel gemeinsam, um miteinander diskutieren zu können, denn ich teile nur wenige ihrer Ansichten. Was diejenigen betrifft, die gegen die Behauptung protestieren, die menschliche Natur habe sich durch Evolution ergeben, und dagegenhalten, sie sei von einer Sache namens Kultur de novo erzeugt worden, habe ich mehr Hoffnung. Ich glaube, ich werde sie davon überzeugen können, daß sich unsere Standpunkte miteinander vereinbaren lassen. Die menschliche Natur ist ein Produkt der Kultur, aber die Kultur ist auch ein Produkt menschlicher Natur, und alle beide sind Produkte der Evolution. Das heißt keineswegs, daß ich von jetzt ab den Standpunkt vertrete, alles »liege in den Genen fest«. Davon bin ich weit entfernt. Ich werde energisch gegen die Auffassung angehen, jedes psychologische Moment sei einzig und allein genetisch bedingt – und ebenso energisch werde ich der Vermutung entgegentreten, alles allgemein Menschliche könne mit Genen nichts zu tun haben. Doch unsere »Kultur« müßte nicht so sein, wie sie ist. Die menschliche Kultur könnte sehr viel nuancenreicher und überraschender sein, als sie tatsächlich ist. Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, leben in kunterbunt zusammengesetzten Gesellschaften, in denen die Weibchen so viele Geschlechtspartner suchen wie möglich und in denen ein Männchen die Jungen der Weibchen tötet, mit denen es sich nicht gepaart hat. Es gibt keine menschliche Gesellschaft, die diesem speziellen Verhaltensmuster auch nur im entferntesten ähnelt. Warum nicht? Weil die Natur des Menschen sich von der Natur des Schimpansen unterscheidet.
    Wenn dem so ist, dann müssen Untersuchungen zur menschlichen Natur von weitreichender Bedeutung sein für Studien zur Geschichte, Soziologie, Psychologie, Anthropologie und Politik. Jede dieser Disziplinen ist ein Versuch, menschliches Verhalten zu verstehen, und wenn die zugrundeliegenden Universalien menschlichen Verhaltens das Produkt der Evolution sind, dann ist es von vitalem Interesse, zu verstehen, worin der Evolutionsdruck bestanden hat. Dennoch bin ich inzwischen zur Erkenntnis gelangt, daß nahezu alle Sozialwissenschaften so betrieben werden, als habe es das Jahr 1859, das Jahr der Veröffentlichung von On the Origin of Species (Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl), niemals gegeben; das ist reine Absicht, denn man beharrt darauf, daß die Kultur des Menschen Ausdruck seines freien Willens und seiner Erfindungsgabe sei, daß die Gesellschaft nicht das Produkt der menschlichen Psyche, sondern die Psychologie Produkt der menschlichen Gesellschaft sei.
    So etwas klingt vernünftig und wäre großartig für jedermann, der an social engineering glaubt – wenn es denn wahr wäre; das aber ist es einfach nicht. Natürlich ist die Menschheit in moralischer Hinsicht frei, sich ohne Einschränkungen selbst
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