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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution
Autoren: Matt Ridley
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plötzlich, aber das ist auch nicht ausschlaggebend) durch eine Zufallsmutation eine Bärin weiße Junge statt brauner bekam. Diese gediehen und vermehrten sich, denn die Robben sahen sie nun nicht mehr von weitem. Die Evolutionsleistung der Robben war vergeblich gewesen; sie befanden sich wieder an dem Punkt, an dem sie zuvor gewesen waren. Die Rote Königin hatte zugeschlagen.
    In der Welt der Roten Königin wird jeder von Ihnen erreichte Evolutionsschritt relativ bleiben, solange Ihr Widersacher lebt und in hohem Maße von Ihnen abhängt (beziehungsweise in hohem Maße darunter zu leiden hat, wenn Sie gut gedeihen) wie im Falle von Eisbären und Robben. Der Rote-Königin-Effekt wird also in besonderem Maße zwischen Räuber und Beute, Parasit und Wirt und Männchen und Weibchen derselben Spezies zum Tragen kommen. Jedes Geschöpf auf dieser Welt befindet sich mit seinen Parasiten (oder Wirten), seinen Räubern (oder seiner Beute) und vor allem mit seinem Partner in einem Schachturnier nach dem Reglement der Roten Königin.
    So wie Parasiten von ihren Wirten abhängen und sie dennoch schädigen, so wie Tiere ihren Partner ausnutzen und ihn dennoch brauchen, so klingt auch bei der Roten Königin grundsätzlich noch ein zweites Thema mit – es handelt sich um eine Verquickung von Kooperation und Konflikt. Die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind ist einigermaßen durchsichtig: Beide streben nach demselben Ziel – dem eigenen Wohlergehen und dem des anderen. Die Beziehung zwischen einem Mann und dem Liebhaber seiner Frau oder zwischen einer Frau und ihrer Rivalin um eine bessere Stellung ist ebenfalls ziemlich geradlinig: Beide wünschen einander das Schlechteste. Im ersten Fall geht es nur um Kooperation, in den beiden anderen nur um Konflikt und Konkurrenz. Wie aber ist die Beziehung zwischen einer Frau und ihrem Ehemann? Es ist eine Kooperation in dem Sinne, daß jeder für den anderen das Beste will. Aber warum? Um einander auszubeuten. Ein Mann nutzt seine Frau aus, indem er sie seine Kinder zur Welt bringen läßt. Eine Frau nutzt ihren Ehemann aus, indem sie ihn die Kinder zeugen und bei deren Erziehung helfen läßt. Ehe bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen einem kooperativen Unternehmen und gegenseitiger Ausbeutung – fragen Sie jeden beliebigen Scheidungsanwalt. In erfolgreichen Ehen werden die Kosten von den gegenseitigen Vorteilen in solchem Maße übertroffen, daß die Kooperation im Vordergrund steht; in erfolglosen Ehen nicht.
    Es ist eines der großen, immer wiederkehrenden Themen menschlicher Geschichte: die Balance zwischen Kooperation und Konflikt. Unter dem Druck, sie zu bewahren, stehen Regierungen und Familien, Liebende und Rivalen. Sie ist der Schlüssel zur Ökonomie. Dies ist, wie wir sehen werden, eines der ältesten Themen der Lebensgeschichte, denn bis hinunter auf das Niveau der Gene kehrt es unablässig wieder. Seine Hauptgrundlage aber ist die Sexualität. Auch sie ist – so wie eine Ehe – ein kooperatives Unternehmen zwischen zwei rivalisierenden Gensätzen – Ihr Körper ist die Plattform für diese angespannte Koexistenz.

Die Qual der Wahl
    Eine von Darwins weniger bekannten Thesen lautete, daß sich die Geschlechtspartner im Tierreich wie Pferdezüchter verhalten, die ununterbrochen bestimmte Typen selektionieren und die Rasse somit unaufhörlich verändern. Diese Theorie der sexuellen Selektion wurde nach Darwins Tod über viele Jahre hinweg ignoriert und ist erst vor kurzem wieder in Mode gekommen. Ihre Grunderkenntnis besteht darin, daß das Ziel eines Tieres nicht das bloße Überleben ist, sondern die Fortpflanzung. Und tatsächlich steht in Fällen, in denen es zu einem Konflikt zwischen Fortpflanzung und Überleben kommt, die Fortpflanzung im Vordergrund. Lachse zum Beispiel verhungern während der Laichzeit.
    Bei Spezies mit sexueller Fortpflanzung gilt es, einen geeigneten Partner zu finden und diesen dazu zu bringen, ein paar von seinen Genen abzugeben: Dieses Ziel ist von so zentraler Bedeutung für die Entwicklung von Leben, daß es nicht nur den Bauplan des Körpers beeinflußt hat, sondern auch die Beschaffenheit der Psyche. Einfach ausgedrückt: Alles, was den Reproduktionserfolg erhöht, wird sich auf Kosten aller anderen Dinge ausbreiten, die solches nicht tun – auch dann, wenn dadurch das Überleben gefährdet wird.
    Die sexuelle Selektion läßt ebenso den Eindruck einer zweckgerichteten »Planung« entstehen wie die natürliche Selektion.
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