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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution
Autoren: Matt Ridley
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deshalb soll das nächste Kapitel mit ihr beginnen.
    In der Physik gibt es keinen großen Unterschied zwischen einer Warum-Frage und einer Wie-Frage. Wie dreht sich die Erde um die Sonne? Durch die Anziehungskraft der Gravitation. Warum dreht sich die Erde um die Sonne? Wegen der Gravitation. Die Evolution aber sorgt dafür, daß die Biologie ein ganz anderes Spiel ist, denn sie beinhaltet eine ungewisse Vergangenheit. Wie der Anthropologe Lionel Tiger es ausdrückt: »Notwendigerweise werden wir in gewissem Sinne gezwungen, gedrängt oder zumindest beeinflußt von der geballten Macht selektiver Entscheidungen, die im Verlaufe von Tausenden von Generationen gefallen sind.« 13 Schwerkraft bleibt Schwerkraft, wie auch immer die Würfel der Geschichte fallen. Ein Pfau ist deshalb ein so prächtiger Pfau, weil an irgendeinem Punkt der Geschichte die Urpfauenhennen damit aufhörten, ihre Partner nach prosaischen Nützlichkeitskriterien auszuwählen, und statt dessen einer modischen Vorliebe für prächtige Verzierungen frönten. Jedes lebende Wesen ist ein Produkt seiner Vergangenheit. Wenn ein Neodarwinist fragt »Warum?«, fragt er im Grunde »Wie ist es dazu gekommen?« Er ist ein Historiker.

Konflikt und Kooperation
    Eine Besonderheit der Geschichte ist, daß die Zeit jeden Vorteil zunichte macht. Jede Erfindung führt über kurz oder lang zu einer Gegenerfindung. Jeder Erfolg trägt den Samen seiner eigenen Niederlage in sich.
    Jede Vorherrschaft findet ihr Ende. Die Evolutionsgeschichte macht da keine Ausnahme. Fortschritt und Erfolg sind stets relativ. Als das Land noch nicht von Tieren besiedelt war, konnte das erste Amphibium, welches das Meer verließ, es sich noch leisten, fischähnlich auszusehen und langsam und behäbig einherzuschreiten, denn es hatte keine Feinde und keine Konkurrenten. Wenn es jedoch heutzutage einen Fisch an Land zöge, würde er sicher sehr schnell von einem Fuchs verschlungen.
    In der Geschichte ist ebenso wie in der Evolution jeder Fortschritt eine vergebliche Sisyphusarbeit, die darin besteht, immer an ungefähr demselben Ort zu verbleiben, indem man in allem immer besser wird. Autos bewegen sich nicht rascher durch Londons überfüllte Straßen als Pferdekutschen vor hundert Jahren. Computer haben keinen Einfluß auf die Produktivität, denn die Menschen lernen, Aufgaben, die leichter geworden sind, komplizierter zu machen und zu wiederholen. 14 Dieses Konzept, daß jeglicher Fortschritt relativ ist, wurde in der Biologie bekannt als der »Rote-Königin-Effekt«, benannt nach einem Erlebnis des Mädchens Alice aus Lewis Carrolls Erzählung Alice hinter den Spiegeln. Alice begegnet im Land hinter den Spiegeln der Roten Königin, einer Schachfigur, die unablässig rennt, ohne dabei vom Fleck zu kommen; die Landschaft um sie herum bewegt sich ständig mit ihr. Diese Vorstellung gewinnt in der Evolutionstheorie mehr und mehr an Einfluß, und sie wird auch in diesem Buch immer wieder herangezogen. Je schneller man läuft, um so rascher bewegt sich die Welt um einen herum und um so weniger Fortschritte erzielt man. Das Leben ist ein Schachturnier, bei dem man im Falle eines Sieges das nächste Spiel mit dem Handicap beginnt, daß ein Bauer fehlt.
    Die Rote Königin ist nicht bei allen evolutionsgeschichtlichen Ereignissen am Werk. Betrachten wir zum Beispiel einen Eisbären mit seinem dicken Pelz aus weißem Fell. Der Pelz ist deshalb so dick, weil die Ureisbären besser überleben und sich fortpflanzen konnten, wenn sie nicht froren. Es gab also einen relativ einfachen Evolutionsfortschritt: je dicker das Fell, um so weniger frierende Bären. Das Klima veränderte sich dadurch jedoch nicht. Nun ist das Eisbärenfell noch aus einem anderen Grunde weiß: zur Tarnung. Weiße Bären können sich sehr viel leichter an Robben heranschleichen als braune Bären. Vermutlich war es irgendwann in grauer Vorzeit leicht, sich an arktische Robben heranzuschleichen, weil diese keine Feinde auf dem Eis fürchteten – so wie heutzutage die antarktischen Robben auf dem Eis noch vollkommen arglos sind. In jenen Tagen hatten es die Protoeisbären leicht, Robben zu fangen. Bald aber kam es dazu, daß nervöse, mißtrauische Robben länger lebten als vertrauensselige, und so wurden die Robben allmählich vorsichtiger. Für die Bären wurde das Leben schwerer. Sie mußten sich still und heimlich an die Robben heranschleichen, doch die sahen sie bereits von weitem. Bis eines Tages (vielleicht nicht ganz so
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