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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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Latzhose des Mannes, der vielleicht ein paar Jahre älter als er selbst, also knappe sechzig, sein musste, steckte in dunkelgrünen Stiefeln. Ein grobes, schmutziges Hemd mit Stehkragen schaute darunter hervor, die Ärmel waren hochgekrempelt. Auf seinem Kopf saß ein viel zu kleiner Cordhut. Er sah fast ein bisschen lächerlich aus, wäre da nicht sein Gesicht gewesen. Es war gezeichnet vom Schock. Die Furchen, die sich über die lederne Haut zogen, wurden durch die Blässe des Gesichtes noch betont.
    »Einen schönen Hof haben Sie da«, sagte Kluftinger.
    Langsam drehte der Mann seinen Kopf in Richtung des Kommissars. Er musterte ihn lange. Kluftinger hielt seinem Blick stand. »Hat schon meinem Großvatter g’hört«, sagte der Bauer leise. »Einer der ersten Höf, die hier g’standen sind.«
    »Wie viel Hektar sind’s denn?«
    Der Mann überlegte. Sein Gesicht nahm wieder etwas Farbe an. »So dreiundzwanzig, wenn man den kleinen Wald mitzählt.«
    Der Kommissar nickte anerkennend. »Kluftinger.« Er streckte ihm die Hand hin.
    »Gassner, Albert«, antwortete der.
    Kluftinger lächelte. Er hatte nie verstanden, warum die Allgäuer ihren Nachnamen so gerne vor den Vornamen setzten.
    Sein Gegenüber nahm an, das Lächeln habe ihm gegolten und verzog ebenfalls das Gesicht. Wie ein Lächeln sah das zwar nicht aus, aber Kluftinger wusste, wie es gemeint war. Der Mann stand unter Schock, das konnte er auch ohne Arzt diagnostizieren. Wenn er erst einmal etwas Ruhe hätte, würden die Ausläufer der Schockwellen auch ihn erreichen, fürchtete er.
    »Haben Sie ihn gefunden?«
    Die Miene des Mannes verdunkelte sich wieder. »Ja.« Er machte eine lange Pause, dann sagte er: »Sowas hab ich noch nie gesehen. Und ich hab schon viel gesehen.«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Nein. Der war noch nie da.«
    »Wie haben Sie ihn denn gefunden?«
    »Also, des hat sich so zugetragen«, fuhr er, als er bemerkte, dass Strobl seinen Schreibblock gezückt hatte, in umständlichem Deutsch und dem ihm sichtlich schwer fallenden Bemühen fort, möglichst nach der Schrift zu reden. »Ich war gerade unterwegs zum Mähen da heroben.« Er streckte seine Hand aus und zeigte mit dem Finger auf die Stelle, an der der Tote gelegen hatte.
    »Als ich hinkam, lag er dort.« Er sah bei seinen Worten nicht Kluftinger, sondern Strobl an. Deswegen gab der Kommissar seinem Kollegen ein Zeichen, sich zu entfernen. Er wollte mit dem Mann allein reden, die geballte Anwesenheit der Obrigkeit machte ihn offenbar nervös. Strobl verstand und wandte sich mit einem Nicken ab.
    »Also, Sie wollten zum Mähen … «, nahm Kluftinger den Faden wieder auf.
    Etwas entspannter fuhr Gassner fort: »Jawoll. Ich hab mir gleich gedacht, als ich aus dem Stall rauskommen bin, dass da irgendwas liegt. Ich bin heut den ganzen Tag im Haus und im Stall g’wesen, sonst hätt ich ihn ja schon früher g’sehen.«
    »Woher wissen Sie denn, dass er schon früher da gelegen hat?«, unterbrach ihn Kluftinger.
    Der Bauer sah ihn mit großen Augen an. »Also … ich … des hab ich mir halt gedacht. Weil den bei Tag doch niemand da umbracht hätt. Des hätten mir doch g’hört. Oder g’sehen. Es kommen zwar nicht viel Leut da vorbei, aber die Straße ist ja auch gleich da unten, oder?«
    Es klang, als wollte sich Gassner verteidigen. Kluftinger kannte dieses Phänomen: Selbst der unschuldigste Mensch konnte bei einem polizeilichen Verhör ein schlechtes Gewissen bekommen. Er legte dem Mann deswegen beruhigend seine Hand auf die Schulter. »Schon gut, ich wollt’s ja nur wissen. Alles, was Sie gehört oder gesehen haben, kann für uns wichtig sein. Der Mann scheint wirklich schon länger tot zu sein, die Ärzte meinen, seit letzter Nacht. Für uns wäre halt wichtig zu wissen, wann und wie er hierher gekommen ist.«
    »Ach so.« Gassner schien erleichtert. »Ich hab schon gedacht … Ja, also mei Frau und ich, mir haben nix g’hört, in der Nacht. Aber wie g’sagt: Als ich dann naus bin zum Mähen, da hab ich ihn glei g’sehen, wie er auf’m Denkstein g’legen ist.«
    »Was für ein Stein?«
    »Denkstein, haben wir immer g’sagt. Weil der steht hier schon lang, ich glaub, schon bevor mein Opa den Hof baut hat. ›Denkt’s dran, dass hier mal eine Burg war, Buben‹, hat er immer g’sagt zu uns. Und deswegen haben wir immer Denkstein g’sagt.«
    Kluftinger sah noch einmal zu der Stelle hinüber. Sie war etwas erhöht und unter den Bäumen lagen vereinzelt, aber doch so, dass
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