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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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starren Vogelaugen und dem Lidzwinkern von unten, das aussieht wie eine Fotolinse beim Knipsen. Mit dem Gespür der erfahrenen Bedienung, die genau weiß, wann der Gast sich über ein Thema nicht weiter unterhalten möchte, leitete sie über:
    »Was Sie da vorhin von Ihrem Beruf gesagt haben, Herr Dornberg, das stimmt genau! Freude muß er machen. Sonst fängt man am besten gar nicht erst an. Ja, da wird man ja krank. Entschuldigung. Sehen Sie, die Tochter meiner Schwester zum Beispiel, die hat voriges Jahr geheiratet — er ist bei einer Bankfiliale, sie hat Friseuse gelernt — ja, was die sich krummlegen für ihren Lebensstandard. Nicht zu glauben! Er macht abends noch die Steuer für Kunden, und sie geht in Privathäuser frisieren, Damen für Abendgesellschaften und so. Die zwei sehen sich kaum noch, und alles nur, damit die Nachbarn Mund und Nas auf sperren, was die sich alles leisten können. Ja, wofür denn, wenn s’ nie daheim sind außer zum Schlafen?« Solange Lukas nickte, ging die Geschichte weiter, nahtlos von ihrer Nichte zur eigenen kleinen Rente; von den Ersparnissen zu den
    Füßen, die’s nicht mehr so machen wie früher, nur noch gelegentlich zur Aushilfe in reichen Häusern, da, wo die Nichte die Damen frisiert.
    Beim Apfelstrudel fragte er nach der alten Clique. Kathi wurde Verlegen.
    »Mein Gott, Herr Dornberg, ich erzähle da und erzähle lauter Sachen,
    die Sie gar nicht interessieren können!«
    »Mich interessiert alles hier, Kathi. Ich kenn mich nicht mehr aus.« Anfangs stockte sie, suchte nach geeigneten Wörtern, erzählte durcheinander, verwechselte Namen. Erst allmählich, beim Schnaps nach dem Kaffee, nach dem selbsteingemachten Kompott, nach dem Apfelstrudel, fielen ihr zu den Figuren auch wieder die Geschichten ein.
    »Von manchen weiß ich gar nichts mehr, merk ich grad. Von den beiden Herren Wolfgang zum Beispiel. Und vom Herrn Hubert weiß ich nur, daß er im Altersheim ist an der Zähringerwaldstraße, glaub ich. Aber Frau Daniela, ja, die hat sich gemacht! Oder wissen Sie schon? Da ist nichts mehr mit Fotografieren. Jetzt wird sie fotografiert. An jeder Straßenecke können Sie sie sehen, auf den
    Wahlplakaten! Sie ist bei der Politik und sehr beliebt. Ich seh sie manchmal im Fernsehen. Die ist noch genauso hübsch wie früher.«
    Daniela war also die Abgeordnete auf den Plakaten. Er wollte sich gerade wundern, daß er sie nicht erkannt hatte, als ihm Kathis Blinzeln auffiel.
    »Sie hat Sie ja immer recht aufgezwickt, die Frau Daniela. Wissen Sie das noch?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Weil Sie so umschwärmt wären von den Damen. Das darf ich doch sagen, Herr Dornberg?«
    »Aber ja. Erzählen Sie mir nur,’was für ein toller Bursche ich gewesen bin.«
    Bazi sang noch einmal >O Tannebaum, o Tannebaum<, dann hängte Kathi den Käfig zu und stellte eine Flasche Sekt auf den Tisch. Ihr Kühlschrank schien alles zu enthalten, was sie fast ein Leben lang ihren Gästen serviert hatte. Während Lukas den Drahtkorb über dem Korken löste, rührte sie in der Vergangenheit, genüßlich wie in einem pikanten Gulasch.
    »Wenn ich noch an die Prinzessin denk, Herr Dornberg!«
    »Marie-Luise! Die hatte ich ganz vergessen.«
    »Sie war ja nur ein paarmal da, weil’s kein Eis gegeben hat bei uns. Aber die Chefin hat gleich gesagt: Die paßt überhaupt nicht zu unserem Herrn Dornberg, die ist eiskalt!«
    »Wir wurden ja aus der Küche sehr genau beobachtet, wie es scheint.«
    Kathis Barockputtenbäckchen leuchteten warnend rot.
    »Das dürfen Sie nicht falsch verstehen, Herr Dornberg, das war nur, weil wir Sie so mögen haben.« Sie nippte ein Schlückchen aus dem Schnapsglas. »Also, mit Verlaub, ich persönlich hab mir auch gedacht, daß das nichts werden kann — man kriegt ja einen Blick für Menschen in dem Beruf, und Beobachten ist überhaupt das Schönste!«
    »Mir scheint, unsere Berufe haben Ähnlichkeit.«
    Lukas lächelte ihr zu, lächelte mit ihr über jenen Lukas, von dem sie erzählte und der ihm so fremd war wie ein Bruder, dessen Streiche man nur kennt, weil sie immer wieder erzählt wurden. Die Sektgläser standen schon eine ganze Weile gefüllt auf dem Tisch, doch das merkte sie erst, als Lukas ihr eines entgegenhielt. Sie nahm es und wurde feierlich.
    »Jetzt möchte ich mich bedanken für die Freude, die Sie mir gemacht haben mit Ihrem werten Besuch.«
    »Und ich bedanke mich für das köstliche Essen. So gut war’s im Späten Schoppen nie!«
    Er trank ihr zu.
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